Die sogenannte Armenienresolution der Bundesregierung und die damit zusammenhängenden Diskussionen sorgen bereits seit einem Jahr für Anspannung zwischen der türkischen und der deutschen Regierung. So wurde dieser Beschluss des Bundestages auch medial aufgespielt, trotz der Tatsache, dass es sich hierbei eigentlich um eine Sache handelt, die nur einen Symbolcharakter hat.

Am 2. Juni verabschiedete der Bundestag -nach mehr als einem Jahrhundert- eine Erklärung, in der die Massaker an vielen Volksgruppen und Minderheiten, wie aramäische oder assyrische Christen und Armenier während des 1. Weltkrieges seitens des Osmanischen Reiches zum ersten als Völkermord benannt wurden.

Die Tatsache, dass es sich um einen Genozid an den Armeniern handelt und somit als Völkermord bezeichnet werden kann, wird weltweit anerkannt, jedoch von der türkischen Seite seit jeher geleugnet. Historiker auf der ganzen Welt sind sich dessen einig und dennoch gibt es immer wieder selbsternannte Experten, die den Genozid am armenischen Volk im Jahre 1915 leugnen.

Den Völkermord als einen solchen zu bezeichnen, trägt- dessen sind sich sowohl die türkische Staatsregierung als auch die Deutsche bewusst- lediglich einen symbolischen Charakter. So scheint es eher eine Art Aufführung der innenpolitischen Interessen beider Länder zu sein, dass nun bestimmte Schlüsse aus dieser Entscheidung gezogen werden. Ähnlich war es bereits zuvor als zum Beispiel Frankreich und andere Nachbarstaaten Deutschlands das Kind beim Namen genannt hatten.

Der Grund für die Verspätung

Die Erklärung für einen solch verspäteten Auftritt Deutschlands hat neben historischen Gründen natürlich auch aktuell politische Gründe. Dabei trägt vor allem auch Deutschland, als ein Verbündeter des Osmanischen Reiches im ersten Weltkrieg,eine große Mitverantwortung an den Verbrechen gegen die Minderheiten im damaligen osmanischen Territorium.

„Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht.“

Dieses Zitat des damaligen deutschen Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg ist wie ein Geständnis überliefert und zeigt deutlich, dass die damaligen Verantwortlichen nicht nur bei der systematischen Vernichtung und Vertreibung der Volksgruppen zugeschaut haben, sondern diese mit vorangetrieben haben um eigene Interessen durchsetzen zu können.

Die Mitschuld Deutschlands besteht jedoch nicht nur darin, davon gewusst und es nicht verhindert zu haben, wie einige Bundestagsabgeordnete es behaupten. Denn die osmanische Armee war zu der damaligen Zeit voll mit deutschen oder unter deutscher Führung stehenden Generälen, welche die Kriegsstrategien des Reiches unter anderem mit geplant und durchgeführt haben.

Nicht die eigene Mitschuld, sondern nur die Versöhnung der anderen?

Es waren international tätige deutsche Firmen, welche an den Massakern mitverdienten. So ließ der damals noch weltweit anerkannte Baukonzern „Philipp Holzmann AG“ zehntausende Armenier, für den Bau von Schienennetzen in den Nahen und Mittleren Osten, zwangsarbeiten.

In dem Resolutionstext steht wenig bis nichts über die wirkliche Verantwortung des deutschen Reiches. Stattdessen werden am Ende des Textes Forderungen seitens des Bundestages an die Bundesregierung gestellt, welche sich mehrheitlich auf eine Versöhnung zwischen der türkischen und der armenischen Seite richten.

Die deutsche Bundesregierung soll lediglich auf die türkische und die armenische einreden und sich für eine Verbesserung der Beziehungen einsetzen. Außerdem sollen in Deutschland Initiativen gefördert werden, welche sich mit dem Thema beschäftigen. Zudem soll sich die Thematik künftig in Lehrmaterialen, an deutschen Schulen und Universitäten, wiederfinden.

Eine wirkliche Aufarbeitung der Geschehnisse aus deutscher Seite muss jedoch vor allem  auch in Deutschland geschehen. Das ist nach 101 Jahren natürlich nicht einfach, beginnt aber bereits damit die eigene Mitschuld wahrhaftig und vollständig zu erklären und anzunehmen. Dazu gehört auch zu sagen, dass armenisches Eigentum von deutschen Banken und armenische Häuser von deutschen Militärs mitgeraubt wurden. Genauso muss auch erwähnt werden, dass osmanische Generäle und Staatsmänner wie Talat Pascha, der auch Führungsperson der jungtürkischen Bewegung war, sich nach dem Krieg in Deutschland aufgehalten haben.

Beziehungsstatus kompliziert

Wie bereits erläutert, diente die gesamte Diskussion und der mediale Aufwand um diese Resolution weniger der Aufarbeitung des von den Armeniern „Aghet“ genannten Genozids, sondern eher der Befriedigung eigener innenpolitischer Interessen.

Während die Bundesregierung nun behaupten kann „trotz dessen, dass man die Türkei gerade so sehr braucht“ eine Entscheidung in diesem Fall getroffen zu haben -obwohl Merkel und Co der Abstimmung fernblieben (!), wird dieser Beschluss auch von Seiten der türkischen Vertreter ausgeschlachtet.

Es scheint wieder ganz so, als würde das Hin und Her zwischen beiden Seiten gar nicht mehr aufhören und als wäre das wieder ein Schlag des engen Partners Deutschland gegen die AKP – Regierung. Dennoch oder gerade deswegen ist die Propaganda – Maschinerie Erdogans und anderer Nationalisten in der Türkei gerade auf Hochtouren.

Am selben Tag, dem 2. Juni, wurde der türkische Botschafter aus Deutschland abgezogen und viele türkische Minister, sowie der Staatspräsident Erdogan, richteten harte Worte nach Berlin und wiesen die Entscheidung zurück. Ihnen folgten aber auch oppositionelle Kräfte im türkischen Parlament, wie Kemal Kılıçdaroğlu, Parteivorsitzender der republikanischen CHP. Dieser versprach, dass er von nun an bei seinen Deutschlandbesuchen immer wieder betonen werde, was für eine falsche Entscheidung das sei.

Wesentlich schwerwiegendere Worte nutzten jedoch regierungsnahe und nationalistische Zeitungen und Medienagenturen für ihre Schlagzeilen und Titelblätter. Von „Schämen Sie sich“ bis hin zu „Dummkopf“ wurden viele deutsche Begriffe in die Überschriften eingebaut. Viele Zeitungen nutzten Bilder von Angela Merkel mit Hitlerbart oder SS–Uniform und berichteten, dass Kräfte in Deutschland und im deutschen Bundestag mit der PKK zusammenarbeiten würden.

Politische Konsequenzen für kurze Zeit

Das Ende der Beziehungen bedeutet diese Bundestagsentscheidung sicher nicht. Beide Seiten brauchen einander momentan zu sehr um eigene Belange durchsetzen zu können. Die Türkei braucht die Beziehungen zum großen Partner Deutschland, aus vielen Gründen. Dazu zählen wirtschaftliche, sowie innen – und außenpolitische Ziele wie zum Beispiel den Marktausbau nach Europa.

Deutschland braucht die Türkei um eigene innenpolitische Schwankungen im Thema der Flüchtlingspolitik regulieren zu können aber auch als geostrategischen Partner im Nahen Osten.

Schließlich kann also gesagt werden, dass diese als sehr schwierig bezeichnete Entscheidung, zwar ein erheblicher Fortschritt ist, jedoch bei weitem nicht der Thematik gerecht wird. Genauso ist die mediale Berichterstattung zu dem Thema eher eine auf Sensation und Konflikt aufbauende, statt eine, die sich kritisch mit dem Resolutionstext auseinander setzt und die Hintergründe der Handlungen beider Seiten offenlegte.