Anfang Juni wird der Bundestag armenianswahrscheinlich die “deutsche Verantwortung” am Völkermord an Armenier anerkennen. Da wird natürlich nicht von der Verantwortung des deutschen Kapitals, der Waffenkonzerne, kurz des deutschen Imperialismus die Rede sein. Das wird mit einer allgemeinen “deutschen Verantwortung” übermantelt. CDU, SPD und manch grüner “Realo” hoffen mit dieser “Geste”, die “deutsche Verantwortung” an den Kriegen, Vertreibungen und Völkermorde von heute zu kaschieren. Trotz all dem wird der Schritt des Bundestages immer noch positiv zu beurteilen sein.

Der osmanische Staat, der nach den vernichtenden Niederlagen des Balkankrieges seinen Bankrott erklären musste und sich in einer Untergangsstimmumg befand, wurde vom an Marne geschlagenen Wilhelm-Deutschland in den Krieg getrieben. Für die Putschistenclique um Enver und Talat war der Kriegseintritt ein willkommener Anlass zur “Reinigung” und “Türkisierung” des Landes, was auch von deutschen Propagandisten wie “Türkenjaeckh” (Ernst Jaeckh) bejubelt wurde. Die Willkürherrschaft dieser extrem nationalistischen, mit den Geldversprechungen der Deutschen Bank (Bagdadbahn) und den Waffen des Krupps an die Macht katapultierten Putschisten hat durch ihre schrankenlose Gesetzeslosigkeit zur weiteren Verrohung und Entmenschlichung der Massen und zur Vernichtung der Armenier geführt. Die deutschen Gelder und Waffen, die zahlreichen deutschen Offiziere in der türkischen Armee und in Deutschland ausgebildeten türkischen Offiziere spielten dabei eine wichtige Rolle. Eine der ersten Empfehlungen der deutschen Stabsoffiziere war die “Entfernung” der “feindlichen” Armenier im Hinterland. An dieser “Entfernung” und Vernichtungsaktion waren deutsche Offiziere wie der in der Gegend Urfa-Zeytun tätige Wolffskeel beteiligt. Der Duzfreund von Enver, Marineattaché Hans Humann und Envers Generalstabschef Bronsart von Schellendorf Pascha hatten diese Massenmorde mit allen Kräten unterstützt.

Die deutsche Rolle an diesem Völkermord können wir mit zahllosen Beispielen dokumentieren. Hier sind nur ein Paar davon:

Der deutsche Botschafter Metternich schrieb am 7.12.1915 von Istanbul nach Berlin folgendes:

“Ich habe die Armeniergreuel im Laufe der letzten Woche mit Enver Pascha, mit Halil Bey und heute mit Djemal Pascha ernstlich besprochen und darauf hingewiesen, dass Unruhe und Empörung auch im befreundeten Ausland und in Deutschland weite Kreise ergriffen habe und der türkischen Regierung schliesslich alle Sympathien entziehen würde, wenn nicht Einhalt geschehe. Enver Pascha und Halil Bey behaupten, dass keine ferneren Deportationen – insbesondere nicht aus Konstantinopel – beabsichtigt seien. Sie verschanzen sich hinter Kriegsnotwendigkeiten, dass Aufrührer bestraft werden müssten, und gehen der Anklage aus dem Wege, dass Hunderttausende von Frauen, Kindern und Greisen ins Elend gestossen werden und umkommen…

Ich habe eine äusserst scharfe Sprache geführt. Proteste nützen nichts, und türkische Ableugnungen, dass keine Deportationen mehr vorgenommen werden sollen, sind wertlos.
Von vertrauenswürdiger Seite erfahre ich, dass nach Auskunft des hiesigen Polizeipräsidenten, die ich bitte geheim zu halten, auch aus Konstantinopel neuerdings etwa 4000 Armenier nach Anatolien abgeführt worden sind und dass mit den 80000 noch in Constantinopel lebenden Armeniern allmählich aufgeräumt werden soll, nachdem schon im Sommer etwa 30000 aus Konstantinopel verschickt und andere 30000 geflohen sind. Soll Einhalt geschehen, so sind schärfere Mittel notwendig…

Auch soll man in unserer Presse den Unmut über die Armenier-Verfolgung zum Ausdruck kommen lassen und mit Lobhudeleien der Türken aufhören. Was sie leisten, ist unser Werk, sind unsere Offiziere, unsere Geschütze, unser Geld. Ohne unsere Hülfe fällt der geblähte Frosch in sich selbst zusammen. Wir brauchen gar nicht so ängstlich mit den Türken umzugehen. Leicht können sie nicht auf die andere Seite schwenken und Frieden machen…”

Reichskanzler Bethman Hollweg notierte zu diesem Bericht:

“Die vorgeschlagene öffentliche Koramierung eines Bundesgenossen während laufenden Krieges wäre eine Maßregel, wie sie in der Geschichte noch nicht dagewesen ist. Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht. Bei länger andauerndem Kriege werden wir die Türken noch sehr brauchen…”

Der Konsul Rössler in Aleppo fügte zu seinem Bericht von 3.1.1916 die Berichte von Ingenieur Bastendorff und dem Oberlehrer der deutschen Schule in Aleppo Niepage bei und berichtete selbst wie folgt:

“… Die von den Armeniern immer wieder vorgebrachte Erzählung, dass die Züge der Verbannten absichtlich kreuz und quer geführt worden sind, um sie ‘zu Tode zu wandern’ findet hier an einem Beispiel ihre Bestätigung. Ein Trupp Verschickter aus Urfa hat folgenden Weg zurücklegen müssen:

Von Urfa nach Tell-Abiad,
von Tell-Abiad nach Rakka,
von Rakka nach Tell-Abiad,
von Tell-Abiad nach Rakka.

Die Strecke von TellAbiad nach Rakka beträgt in der Luftlinie rund 90 km…”

Der Bericht von Bastendorff endete wie folgt:

“… Gegen 10000 Emigranten kamen im November und Anfang Dezember aus der Richtung Urfa im Tell Abiad durch. In einem Gespräh mit dem Streckenkommandanten Djemil Bey und einem Inspektor Mahmud Bey, frug unser Arzt Dr. Farah, wo man alle diese Armenier hintransportiere; Djemil Bey antwortete: ‘Nach Rakka’. Mahmud Bey, der selbst die Art der Behandlung der Armenier missbilligte entgegnete: ‘Auf den Weg nach Rakka.’
Alle Massnahmen die den Armeniern gegenüber getroffen wurden, was ich gesehen habe und beobachten konnte, gehen darauf hinaus, was mir der Direktor der Emigranten Schükri Bey sagte: ‘Das Endresultat muss die Ausrottung der armenischen Rasse sein. Es ist der ständige Kampf zwischen Muselmanen und Armeniern, der jetzt definitiv ausgefochten wird. Der Schwächere muss verschwinden.’”

Niepage berichtete am 15.10.1915 aus Aleppo. Im auch von den anderen LehrerInnen der Schule unterschriebenen Bericht wurden die schrecklichen Zustände im neben der Schule stehenden Han und das grosse Massensterben der Armenier dort detailliert beschrieben und an das AA des Deutschen Reiches appelliert:

“… Es ist nicht unsere Sache, die politische Berechtigung der Vertreibung der Armenier aus ihrem Gebirgsgelände zu erörtern. Darauf aber wollen und müssen wir mit lauter Stimme hinweisen: dass die deutsche Schularbeit bei der Fortdauer dieser grässlichen Art der Vertreibung in Form eines Massenmordens an Frauen und Kindern, eines Massenmordens, wie es die Geschichte wohl noch nicht erlebt hat, in diesem Lande einen nicht wieder gut zu machenden Schaden erleidet.

Wir haben die Zuversicht zu einem hohen Auswätigen Amte, dass es seinem Einfluss gelingt, diesem schmählichen Morden noch in letzter Stunde ein Halt zu gebieten…”
Niepage veröffentlichte diesen Bericht in Deutschland und wurde deswegen von Wilhelm, dem grossen Bruder Envers, verfolgt.

Der Botschafter Metternich verfasste einen Bericht nach einem Besuch an der Dardanellenfront auf der Fahrt nach Istanbul. In diesem Bericht von 15.12.1915 fanden folgende Beobachtungen Platz:
“… Auf der Halbinsel von Gallipoli gibt es ausser dem Militär und den Arbeiterkolonnen keine Einwohner mehr, aber auch weiterhin in Ost-Thrazien ist trotz des fruchtbaren Bodens alles wüst und leer. Der Balkankrieg und der jetzige Krieg haben die Gegend ausgesogen und menschenleer gemacht. Ob es nach dem Kriege der türkischen ‘Kultur’ gelingen wird, aus der Einöde die vordem blühende Gegend wieder hervorzuzaubern, bleibt dahingestellt. Ich selbst glaube nach dem, was ich bisher gesehen habe, nicht an die Regeneration der Türkei. Es fehlen hierzu alle Bedingungen: Redlichkeit, ein tätiger Mittelstand, ein gesicherter Rechtszustand und eine gesunde Volksschulbildung. Von einer Clique, die sich mit Schlagworten wie, liberté, droit çivil pour tous, constitution’ brüstet, und daneben Hunderttausende von unschuldigen Menschen hinschlachten lässt, halte ich nicht viel.
In einem Land, wo jeder Rechtsbegriff fehlt, und von einem unparteiischen und gebildeten Richterstand gar nicht die Rede sein kann, sollen die Deutschen nun mehr ohne Schutz der Kapitulationen weiterbestehen…”
“In einem Land, wo jeder Rechtsbegriff fehlt, und von einem unparteiischen und gebildeten Richterstand gar nicht die Rede sein kann…”

Diese Worte wurden vor etwa Hundert Jahren geschrieben und es war Krieg. Und heute?