Die Türkei war vor wenigen Jahren noch eines der beliebtesten Urlaubsziele der Europäer. All-Inclusive-Urlaub in Antalya, feiern in Bodrum, Wahrzeichen besichtigen in Istanbul, all dies gehörte auch für viele Deutsche zur Urlaubsplanung in den Sommerferien. Doch ist – verständlicherweise – die Zahl der Touristen im vergangenen Jahr, nicht zuletzt aufgrund des Putschversuches im Juli und den politischen Entwicklungen seitdem, gesunken. Ganze Hotelkomplexe standen leer, die Strände waren wie ausgestorben. Doch nicht verzagen heißt es nun, denn kein geringerer als Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat den Masterplan entwickelt, um dieses Problem zu lösen.

Die Geschehnisse der letzten Monate, wie der Putschversuch, zahlreiche Bombenanschläge, so wie auch die ständigen Repressionen der Regierung gegen die eigene Bevölkerung, sind nicht spurlos an der Tourismusbranche, einem der wichtigsten Zweige der türkischen Wirtschaft, vorbei gegangen. 1,7 Mio. Touristen weniger als im Vorjahr und 30 % weniger Einnahmen durch den Tourismus verzeichnete die Türkei im vergangenen Jahr. Nun hat Erdogan eine Strategie vor Vertretern der Branche vorgestellt. Dabei setzt der autoritäre Staatspräsident auf die türkischen Staatsbürger im Ausland. Die Idee: im Ausland leben ca. 5 Mio. Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft oder Herkunft. Zunächst sollen all jene ihren Urlaub in der Türkei verbringen. Doch das reicht nicht. Denn würde, nach Erdogans Logik, jeder türkische Staatsbürger nicht nur selbst kommen, sondern auch noch einen Nachbarn mitbringen, wäre das Problem sehr schnell gelöst. Deshalb hat Erdogan die Kampagne „Bring deinen Nachbarn mit!“ ins Leben gerufen.

Ziel ist es 86 Milliarden US-Dollar an Einnahmen durch den Tourismus zu bekommen. Doch um dieses Ziel zu erreichen, reicht ein einfacher Urlaub nicht aus. Der Gedanke geht noch viel weiter. Und zwar sollen die türkischen Staatsbürger nicht nur ihre Nachbarn davon überzeugen in einem der politisch unsichersten Länder der Welt Urlaub zu machen, sondern sie sollen traditionelle Feierlichkeiten nicht länger in ihren Heimatländern veranstalten, sondern ebenfalls in der Türkei! Von der Hochzeit bis zur Beschneidungsfeier, warum nicht knapp 2000 km dafür reisen?

Hört sich alles ziemlich lächerlich an? Ist es auch. Staatspräsident Erdogan ignoriert, wie immer, gekonnt den Umstand, dass er und seine Regierung schuld daran sind, dass die Türkei momentan alles andere als ein attraktives Urlaubsziel ist. Wer möchte in ein Land reisen, in dem Oppositionelle und Journalisten in Haft sind, Medien mundtot gemacht werden, das Parlament außer Kraft gesetzt ist und das Land durch Notstandsdekrete regiert wird? Wieder einmal streckt Erdogan seinen Arm nach Europa aus, um die Türkeistämmigen hier zu beeinflussen. Selbst wenn die getreue Anhängerschaft Erdogans seinem Ruf folgen sollte, ist es stark zu bezweifeln, dass sie ihre Nachbarn dazu überreden können, ebenfalls in die Türkei zu reisen. Denn die europäische Öffentlichkeit steht dem Regime in der Türkei schon länger kritisch entgegen.

Aber aus Erdogans Sicht ist diese Kampagne ein geschickter Schachzug: Denn zumindest seine Anhängerschaft kann er dadurch nochmal mobilisieren und etwas weiter in seinen Einflussbereich ziehen.