eskalation1Der türkische Ministerpräsident setzt bei den andauernden Protesten auf Eskalation. Am gestrigen Sonntag bezeichnete er auf gleich fünf Kundgebungen die friedlichen Aktionen in zahlreichen Städten als „Terror“ und forderte die Demonstranten auf, den Aktionen ein Ende zu setzen.

Der Regierungschef sprach zunächst in Adana und dann in Mersin in der Südtürkei. Auf beiden Kundgebungen wiederholte er seine Beschimpfungen und nannte die Demonstranten „ein paar Plünderer, Anarchisten und Terroristen“. Während ein paar Stunden später in Istanbul zehntausende Menschen erneut auf den Istanbuler Taksim-Platz strömten, nahm er in Ankara an drei weiteren Kundgebungen statt. Hier forderte er ein Ende der Demonstrationen, ansonsten würde er ihnen in der „Sprache antworten, die sie verstehen“. Erdoğan sagte: „Ich kann nicht zulassen, dass ihr mit euren Aktionen in die ganze Welt das Bild eines Landes vermittelt, das nach Belieben terrorisiert werden kann. Unsere Geduld ist nicht grenzenlos.“ Kurze Zeit später berichteten Medien von Übergriffen der Polizei auf Demonstrationen in Istanbul, Ankara und anderen Städten.

Der Ministerpräsident bediente sich bei seinen Beschuldigungen auch Argumente, die sich längst als Propagandalügen der Regierung erwiesen haben. So wiederholte er die Behauptung, Demonstranten, die sich vor der Polizei in die Dolmabahce-Moschee geflüchtet hatten, hätten im Gebetshaus Bier getrunken. Dabei war diese Behauptung vom Imam der Moschee vor einer Woche widerlegt worden. Ferner warf er den Demonstranten auf dem Taksim-Platz vor, vorbeigehende Frauen mit Kopftüchern zusammengeschlagen zu haben. Auch in diesem Fall war längst bekannt geworden, dass es sich dabei um eine Zeitungsente in islamistischen Medien handelt. Damit machte er deutlich, dass er selbst nicht davor zurückschreckt, mit Hilfe von Lügen seine Wähler auf die Demonstranten zu hetzen.

Auch seine Behauptungen, hinter den Protesten würden ausländische Geheimdienste und die Zinslobby stecken, die sich gegen ihn und seine Regierung verschworen hätten. Ausländische Mächte und internationale Spekulanten würden versuchen, die Wirtschaftsentwicklung der Türkei und ihren unaufhaltsamen Aufstieg aufzuhalten. Er aber würde das zu verhindern wissen und ihnen das Handwerk legen.

Sein Demokratieverständnis, wonach die Demokratie aus der Teilnahme an Wahlen besteht, unterstrich Erdoğan auch bei diesen Kundgebungen. Er sagte, der Weg zur Durchsetzung demokratischer Forderungen führe über Wahlen. Wer unzufrieden mit der Politik seiner Regierung sei, solle dies nicht auf Demonstrationen, sondern bei den Kommunalwahlen im nächsten Jahr zeigen.

Am Tag zuvor hatte die AKP-Führung auf einer außerordentlichen Vorstandssitzung beschlossen, am nächsten Wochenende Großdemonstrationen in der Hauptstadt und in Istanbul durchzuführen. Erdoğan rief der versammelten Menge zu, mit ihrer Kundgebung würden sie einen Schlußstrich unter die Protestbewegung setzen. Ob die AKP damit den Startschuss für gewaltsame Ausschreitungen zwischen Gegnern und Anhängern der Regierung geben wird, bleibt abzuwarten. Die Letzteren sind jedenfalls zu allem bereit. Bei den Demonstrationen riefen sie in Sprechchören Erdoğan auf, den Weg freizugeben, damit sie den Taksim-Platz samt Demonstranten platt machen könnten.