Der türkische Premierminister, der am 24. Mai nach Köln kam, hat nicht nur die Stadt in zwei geteilt, sondern auch die türkeistämmigen Migranten. Es ist zu erwarten, dass diese Spaltungspolitik vor den Präsidentschaftswahlen der Türkei verstärkt wird.

Wie erwartet, verlief der Besuch des türkischen Premierministers Recep Tayyip Erdogan in Köln mit Diskussionen, Protest und Anspannung. Sein Kommen hat die Stadt regelrecht in zwei geteilt. Rechtsrheinisch versammelten sich knapp 15 tausend Erdogan-Fans in der Lanxess Arena, linksrheinisch knapp 100 tausend Erdogan- Gegner. Diese Spaltung hat noch einmal gezeigt, dass die hier lebenden Türkeistämmigen verschiedene politische Ansichten haben und aus verschiedenen Glaubensrichtungen und Nationen bestehen. Der weitverbreiteten Meinung, dass der Großteil der Migranten Erdogan-Unterstützer ist, wurde somit entgegen getreten. Mehr noch, denn vor und nach dem Erdogan-Besuch wurde in deutschen Zeitungen, auf Internetseiten und Fernsehprogrammen über wichtige, dynamische Erdogan und AKP–Gegner berichtet. Vor allem, weil entgegen den erwarteten 30 tausend Gegendemonstranten knapp 100 tausend anwesend waren, konnten einige Berichterstatter ihre Verwunderung über die Erdogan-Gegner nicht verheimlichen.

Zwei verschiedene Welten, zwei verschiedene Ansichten

Beide Veranstaltungen auf den verschiedenen Rheinseiten, haben auch verschiedene Welten und Verständnisse zum Ausdruck gebracht. Wenn wir die Veranstaltung in der Lanxess Arena betrachten, sehen wir Erdogan-Fans, die Türkeifahnen schwenken und im Chor „Die Türkei ist stolz auf dich“ rufen. Erdogans Bühnenperformanz war, wie auch der Express schrieb, eine Show. Auch wenn die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) nach dem Soma Massaker ihr Motto von „10 jährige Feier“ in „10 jähriges Bestehen“ geändert hat, war es im Endeffekt nichts anderes als eine Feier. Die Lieder, die in der Türkei während der Wahlpropaganda laufen, liefen auch hier und Erdogan hat es sich nicht nehmen lassen nach der Veranstaltung Nelken an seine Fans zu werfen, so wie er es in der Türkei macht. Da die Veranstalter keine deutschsprachigen Redner und Gäste auffinden konnten, verlief die gesamte Veranstaltung in türkischer Sprache. Die völlige Unaufrichtigkeit von Erdogan zeigte sich dadurch, dass er auf der einen Seite tausende Menschen in einen Saal versammelt, ihnen Türkeifahnen in die Hände gibt und „Türkei ist stolz auf dich“ Slogans rufen lässt und auf der anderen Seite die Menschen dazu auffordert, sich in Deutschland zu integrieren. Indem Erdogan-Fans Angela Merkel ausbuhen, zeigen sie die Auswirkungen der diplomatischen Spannungen zwischen Tayyip Erdogan und Angela Merkel auf die Basis.

Das Rabia-Zeichen, welches Erdogan mit seinen 4 Fingern in seiner 1,5 stündigen Rede zeigte, steht für eine Fahne, ein Volk, eine Heimat und ein Staat. In der Bundesrepublik Deutschland wäre das eine Geste, die nur Nationalsozialisten nutzen würden.

Würde ein deutscher Politiker die Begriffe Volk, Fahne, Staat und Heimat so füllen wie Erdogan es tut, so würde dies bestimmt zu einem großen Skandal führen. Oder führen wir dieses Bild einmal vor Augen: Angela Merkel versammelt ihre Anhänger in einen Saal, gibt ihnen Deutschlandfahnen in die Hände und spricht von einer Fahne, einem Volk, einem Staat und einer Heimat. In Deutschland, wo alleine das Tragen einer Deutschlandfahne bis vor einigen Jahren als Zeichen des Nationalismus galt, wäre dies gewiss ein großer Skandal. Dabei ist diese Situation für Erdogan ganz normal. Dabei passt dieses Verständnis entgegen der Vielseitigkeit und Vielfältigkeit weder zur Türkei noch für Deutschland.

Vielfältige Antwort

Die große Gegendemonstration war dafür bunt und vielseitig. Aleviten, Kurden, Armenier, Türken, Revolutionäre und Kemalisten…alle waren dort. Auch linke deutsche Organisationen waren anwesend. Die eine Veranstaltung war in sich geschlossen und hat nationalistische Gedanken und Gefühle der türkeistämmigen Migranten geschürt, wobei die andere offen nach außen und international gehalten war. Von diesem Punkt betrachtet, war Erdogans Köln- Show ein Misserfolg. Hierbei hat die große Gegenveranstaltung einen starken Beitrag geleistet. Dass es bei diesen ganzen Unterschieden am Vorabend in Köln keine Auseinandersetzungen gab, ist sehr positiv zu vermerken.

Kritik an die deutsche Presse

Vor dem Besuch war die Neugier auf Erdogans Rede groß. Der Besuch des Bundespräsidenten Joachim Gauck in der Türkei führte zu Spannungen in beiden Ländern, sodass Angela Merkel kurzfristig das Treffen mit Erdogan absagte. Erdogan hat sich in der Arena besonders Mühe gegeben, die Beziehung zwischen den Ländern nicht noch mehr zu belasten und kritisierte statt Merkel und Deutschland, lieber die deutsche Presse. Der Spiegeltitel „ Scher dich zum Teufel“ nach dem Soma Massaker, wurde von Erdogan besonders kritisiert.

Zusammengefasst: Erdogans Köln-Besuch hat die Beziehungen der in Deutschland lebenden Türkeistämmigen angespannt und ihnen eher geschadet als genützt. Erdogan und seine Politik ist darauf aus, ein Spannungsfeld zu schaffen und daraus politische Vorteile zu ziehen. Für die im August stattfindenden Präsidentschaftswahlen werden sie diese Spaltungs- und Trennungspolitik verstärkt weiterführen. Die wichtigste Antwort darauf ist natürlich, dass die Arbeiter zusammenzukommen, ohne religiöse, ethnische und sprachliche Trennungen zu machen und ihre gemeinsamen Bedürfnisse und Sehnsüchte in den Vordergrund stellen. Andernfalls wird Erdogan und seine Politik den Weg ebnen für große Schäden.

„Verbot für Evrensel und Hayat TV brachte Kritik“

Erdogan, der von einer Pressefreiheit in der Türkei spricht, hatte noch vor seiner Reise der Tageszeitung Evrensel und dem Sender Hayat TV den Zutritt zur UETD Veranstaltung willkürlich verweigert. Evrensel und Hayat TV Europa hatten bereits einen Monat vor der Veranstaltung einen Antrag gestellt, jedoch wurde mit der Begründung „es gibt keine Plätze mehr“ der Antrag abgelehnt. Jedoch hat die deutsche Presse, die zu einem späteren Zeitpunkt einen Antrag stellte, eine Zusage erhalten. Daraufhin gab es in der deutschen Presse Berichte über dieses Verbot und die Eingriffe in die Presse durch Erdogan, welche nun bis nach Deutschland reichen.

Die Zeitungen Die Tageszeitung, Neues Deutschland, Junge Welt und der ARD, ZDF und WDR haben hierzu Berichte erstattet.

Auch hat die Deutsche Journalisten Union (DJU) mit einer Presseerklärung Erdogan kritisiert. „Presseplätze dürfen nicht nach dem Willkürprinzip vergeben werden“, sagte der nordrhein-westfälische dju-Landesgeschäftsführer Christof Büttner. „Auch kritischen Journalisten türkischer Medien muss der freie Zugang zu der Veranstaltung gewährt werden“, forderte Büttner. Alles andere wäre eine „nicht hinnehmbare Zensur“.