Wir sprachen mit Sidar Demirdögen, der Vorsitzenden des Bundesverbandes der Migrantinnen, über den Rechtsanspruch auf einen KITA-Platz und dem geplanten Betreuungsgeld.

Gibt es deiner Meinung nach eine Verbindung zwischen dem „Betreuungsgeld“ und dem Rechtsanspruch der Familien auf einen KITA-Platz?

Sidar Demirdögen: Das Betreuungsgeld ist nichts anderes, als eine „Herdprämie“ bzw. „Hausfrauengeld“, die abgelehnt werden muss. Denn hinter dem Betreuungsgeld verbirgt sich eine frauenfeindliche und unsoziale Politik, die Frauen zurück in die eigenen vier Wände drängt, die Bildungsaufgabe auf die Eltern, größtenteils auf die Mütter abwälzt und Milliarden von Euros einfach so mal verschleudert. Leider ist es immer noch so, dass die Erziehung überwiegend als Frauenangelegenheit wahrgenommen wird. Das Betreuungsgeld nimmt den Frauen die „Wahlfreiheit“ weg, sich sowohl für Kind und Arbeit zu entscheiden.

Die Regierung bricht ihr eigenes Wort! Denn im Jahr 2008 wurde unter der damaligen Frauen- und Familienministerin von der Leyen der Ausbau von Krippenplätzen im Kabinett beschlossen, mit der ab August 2013 auch ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für alle Kinder zwischen einem und drei Jahren garantiert wird.

Sind die geplanten 150 Euro überhaupt ausreichend dafür?

Sidar Demirdögen: Keineswegs! Aber: Bereits heute fehlen über 120.000 Krippenplätze. Wir brauchen daher dringend staatliche Betreuungsangebote, die mit den geplanten Ausgaben für das Betreuungsgeld von über 1 Milliarde Euro problemlos realisierbar wären. Ein Unding ist ebenfalls, dass Erwerbslose und Hartz IV-Empfänger dieses Geld gar nicht bekommen sollen. Es sind vor allem Mütter, die aufgrund fehlender Betreuungsplätze, keine Arbeit finden können, obwohl sie wollen. Viele Frauen verlieren ihre reguläre Arbeit, weil sie nach der Elternzeit mit ihren Kindern alleine da stehen. Beim Wiedereinstieg landen sie dann nicht selten in ungesicherten und niedrigentlohnten Jobs.

Warum ist diese „Herdprämie“ der falsche Weg?

Sidar Demirdögen: Viele wissenschaftliche Studien machen deutlich, wie wichtig eine frühzeitige Förderung von Kindern im Rahmen ihrer chancengleichen Bildung ist. Wir als Verband -selbstverständlich gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Mitstreiterinnen in den Frauenverbänden und Gewerkschaften- protestieren dagegen vehement! Das sehen auch die Menschen in Deutschland so! Die verdi-Gleichstellungsabteilung veröffentlichte vor wenigen Wochen, dass 60 Prozent der Menschen das Betreuungsgeld nicht wollen! Statt Herdprämie sollen Kitaplätze für alle geschaffen werden. Das wäre der richtige Weg!

Welche Auswirkungen wird dieses Betreuungsgeld haben?

Sidar Demirdögen: Fehlende Betreuungsplätze können die Armutsspirale in der Bevölkerung zusätzlich beschleunigen und damit konsequenterweise auch Migrantenfamilien, die von Niedriglohn und Armut stärker betroffen sind. Das Betreuungsgeld wirbt dafür, dass Frauen mit Kindern unter ein bis drei Jahren darauf verzichten, eine Arbeit aufzunehmen und eigenes Einkommen zu verdienen. Und wir wissen aus eigener Erfahrung und aus den persönlichen Gesprächen mit Frauen in unseren lokalen Gruppen, dass viele Migrantinnen so früh wie möglich arbeiten wollen. Zugleich sehen wir die große Sorge in Bezug auf die Chancengleichheit in der Bildung der Kinder aus Migrantenfamilien. Denn eine wichtige Voraussetzung dafür ist eine frühzeitige Bildungs- und Sprachförderung, die mit dem Betreuungsgeld überrollt wird.