sorgt-fuer-diskussionen-der-doppelpass-kompromiss-Wenn in letzter Zeit behauptet wird, dass die Kinder der Türkeistämmigen Zuwanderer von einst, zumeist junge Menschen mit akademischer Bildung, wieder verstärkt in die Türkei zurückkehren, so entspricht dies nicht den Fakten. Gemäß einer vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Auftrag gegebenen Studie ziehen es 99% der türkeistämmigen Mitbürger vor, in Deutschland zu bleiben. Nur etwa 1% entscheidet sich aus vielfältigen Gründen, in die Türkei zu gehen.

„Junge türkeistämmige Akademiker verlassen Deutschland in Richtung Türkei“. Das ist seit einigen Jahren immer wieder Thema in den Medien und der Öffentlichkeit. Es wurden zwar einige der zurückgekehrten Menschen, die hier geboren und aufgewachsen waren und einen akademischen Grad haben erlangt haben, ganzseitig interviewt, um diese „massive Rückkehr“ nachzuweisen. Doch das sind willkürlich ausgesuchte einzelne Fallbeispiele, fundierte Zahlen und Fakten wurden nicht genannt.

Diese Debatte schießt vor allem gegen diejenigen Menschen, die den Standpunkt vertreten, dass Zuwanderer mittlerweile ein Teil dieses Landes sind und zu Deutschland gehören, und somit auch ein Recht darauf haben, ihren Lebensmittelpunkt und ihre Zukunft in Deutschland zu sehen. Doch irgendwie möchte es ein Teil der Gesellschaft nicht wahrhaben und es wird komme was wolle, darauf beharrt, dass türkeistämmige Bürger abwandern würden.

Die offizielen Statistiken zeigen ein anderes Bild

Vor kurzem veröffentlichte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Band „Abwanderung von Türkeistämmigen – Wer verlässt Deutschland und warum?“. Die Studie zeigt deutlich, dass obige Diskussion nur aus leerer Luft besteht und auf keinerlei realistischen Zahlen beruht. Eine recht geringe Zahl türkischer Staatsangehöriger wandert wirklich aus. Das zeigen die Ergebnisse der international angelegten BAMF-Studie, bei der sowohl türkische als auch deutsche Datenquellen aus der Türkei, Großbritannien und Deutschland ausgewertet wurden. Hierbei wird ersichtlich, dass es keine Abwanderung von Akademikern aus Deutschland in die Türkei gibt.

Aus der von Stefan Alscher und Axel Kreienbrink für das BAMF herausgegebenen Studie geht hervor, dass zwischen 2007 und 2012 etwa 14000 bis 17000 türkische Staatsangehörige ausgewandert sind. Im selben Zeitraum sind auch ungefähr 4000 bis 5500 deutsche Staatsbürger in die Türkei ausgewandert. Unter diesen Deutschen befinden sich auch Türkeistämmige, die aus der türkischen Staatsbürgerschaft ausgetreten sind. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung der rund drei Millionen Türkeistämmigen in Deutschland sind diese Abwanderungszahlen sehr niedrig. Zwischen 2007 und 2012 verließen jährlich zwischen 3.000 und 4.000 Angehörige der zweiten und dritten Generation Deutschland. Von einer massiven Abwanderung der Folgegenerationen Türkeistämmiger kann somit nicht die Rede sein, denn die Zahlen entsprechen 0,5 Prozent aller in Deutschland aufgewachsenen türkischen Staatsangehörigen. Die Abwanderung von Menschen mit türkischen Wurzeln, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, ist viel niedriger, als in der Öffentlichkeit debattiert wird. Und der Großteil der Abwanderer besitzt keinen akademischen oder qualifizierten Abschluss, wie so oft behauptet wird. Von den 17000 Türken, die Deutschland verließen, verfügte nur jeder fünfte über eine höhere Bildung oder ging aus beruflichen Gründen in die Türkei.

Laut der Studie sind die Rückkehrer in der Türkei geboren, die nur kurz oder mittelfristig zum Studium oder zu Arbeitszwecken gekommen waren. So verlassen innerhalb von sechs Jahren 30 bis 40 Prozent der Studierenden aus der Türkei und rund 25 Prozent der Arbeitsmigranten Deutschland wieder.

Laut der Studie wandern die meisten Frauen vor ihrem 24. Lebensjahr ab, die meisten Männer vor dem 35. Zur Erklärung des Altersunterschieds führen Experten die unterschiedlichen Beweggründe der Abwanderer an. Man vermutet beim Großteil der Frauen den Aspekt der Eheschließung. Allerdings gibt es für diese Annahme keine sicheren Zahlen.

„Trans-Nation“ oder die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte

Die Zahlen zeigen, dass sich das Abwanderungsverhalten der in Deutschland geborenen und ausgebildeten Türkeistämmigen im Vergleich zur Vergangenheit nicht wesentlich geändert hat. Dennoch gibt es Meinungsmacher, die behaupten, dass die Türkeistämmigen begonnen haben, das Land zu verlassen und Deutschland nun in Gefahr sei. Dabei berufen sie sich nicht auf konkrete Zahlen, sondern auf einzelne Fallbeispiele und Verallgemeinerungen. Dies führt zweifelsohne dazu, dass sich viele Türkeistämmige von Deutschland entfremdet und verunsichert fühlen.

Es entspricht auch den Tatsachen, dass in Deutschland geborene Türkeistämmige nach ihrem akademischen oder beruflichen Abschluss in die Türkei gehen. Berufliche und finanzielle Perspektiven sind hierfür die Motivationsgründe. Heutzutage befinden sich alle Nationen in einem Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte, insbesondere da diese mobiler als in der Vergangenheit und einer Anstellung in einem anderen Land nicht abgeneigt sind. Ausschlaggebend für Arbeiter sind hierbei Karriereperspektiven, das Gehalt sowie die Arbeitsbedingungen. Und dies trifft natürlich auch auf die in Deutschland geborenen Türkeistämmigen zu. Selbstverständlich spielen auch Faktoren wie Sprache, Kultur und das soziale Umfeld eine wichtige Rolle dabei, wenn es in Deutschland geborene Türkeistämmige vorzugsweise in die Türkei zieht. Obwohl es auch eine kleine Minderheit gibt, die die Türkei nicht an erster Stelle sehen.

Aus all diesem lässt sich jedoch nicht schlussfolgern, dass eine „Rückkehr“ oder gar eine „umgekehrte Migration“ stattfindet, wie so oft behauptet wird. Die Türkeistämmigen wandern nämlich nicht ausschließlich in die Türkei ab. Viele von ihnen sehen ihre berufliche Zukunft in einem anderen europäischen Land.

Laut Umfragen sind es vor allem familiäre und partnerschaftliche Gründe, die Menschen zu der Entscheidung bewegen, in die Türkei abzuwandern. Ein Teil der Abwanderer hält sich eine Rückkehr nach Deutschland offen. Auch wenn bis zu einem Drittel der Türkeistämmigen in Deutschland die Absicht äußern, irgendwann mal in die Türkei zu ziehen, sind es lediglich 0,5 bis 2 Prozent, also ein Bruchteil der Türkeistämmigen, die tatsächlich abwandern.

Fazit: Die Zukunft liegt in Deutschland

Es gibt Untersuchungen die behaupten, dass unter ungefähr einem Drittel der Türkeistämmigen immer noch der Wunsch vorherrscht, in die Türkei zurückzukehren, dieser Wunsch allerdings nicht verwirklicht werden kann. Hierbei spielt natürlich auch die Art der Fragestellung eine Rolle. Stellt man z.B. die Frage: „Können Sie sich vorstellen, in der Türkei zu leben ?“, antworten die meisten sicherlich mit „Ja“. Fragt man jedoch: „Können Sie sich vorstellen, für immer in der Türkei zu leben?“, so wird die Antwort zweifelsohne anders lauten. Hier wird versucht, den Befragten zu lenken, um eine gewisse Meinung in der Öffentlichkeit zu schaffen.

Die Studie des BAMF hat nun aber anhand definitiver Zahlen und Fakten gezeigt, dass es keine Abwanderung in die Türkei seitens der in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Generationen gibt und diese vielmehr ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland sehen.

So wird deutlich, dass die Diskussion um Abwanderung lediglich dem unschönen Zweck dient, den Gedanken der Abwanderung gedeihen und wachsen zu lassen.

Auch wenn die meisten Türkeistämmigen ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland sehen, sich zu Deutschland zugehörig und als Teil der Gesellschaft fühlen, so bedeutet dies nicht, dass alle Probleme überwunden wären. Denn noch immer übt die Türkei einen großen politischen und kulturellen Einfluss aus, was zur Bildung diverser Gruppierungen und Fronten führt. Aufgrund der recht jungen Migrationshistorie ist dies sicherlich verständlich.

Die Rückkehr – Nur ein Wunschdenken

In der Studie des BAMF wird auch untersucht, wie die Türkeistämmigen zu einer Rückkehr für immer stehen. Befragungen zeigen, dass 6 bis 36% sich eine Rückkehr für immer vorstellen können. Dieser Wunsch hält sich hartnäckig schon seit die ersten Einwanderer vor ungefähr einem halben Jahrhundert nach Deutschland kamen. Die erste Generation wollte einige Jahre arbeiten, etwas Geld sparen und dann wieder in die Türkei zurückkehren. Im Laufe der Jahre übertrug sich dieser Wunsch auch auf die nachfolgenden Generationen. Obwohl die jüngeren Generationen wissen, dass sie diesem Wunsch nie werden nachgeben können, denken sie weiterhin daran und werden es wohl auch in Zukunft tun. Mit der Zeit haben sie aber erkannt, dass eine Rückkehr in die Türkei eine ganz individuelle Entscheidung darstellt und kein Anliegen mehr einer kompletten Generation ist.

Aus diesem Grund ist es wichtig, nicht mit einer Wunschvorstellung zu leben, deren Verwirklichung unmöglich scheint. Vielmehr sollten sich diese Menschen eingestehen, dass ihr Lebensmittelpunkt und ihre Zukunft in Deutschland liegt, sollten sich in alle Lebensbereiche miteinbringen und mit den deutschen Mitbürgern an einem Strang ziehen, um die Probleme dieses Landes gemeinsam zu bewältigen. Andernfalls, so scheint es, wird der Wunsch der Rückkehr ewig herumgeistern.

Yücel Özdemir