Die Deutsche Bahn wirft eine junge Studentin mit Polizeigewalt aus dem Zug, weil diese sich lediglich mit einem russischen Reisepass ausweisen kann. Ein SPIEGEL-Reporter ist zufällig dabei und filmt diesen Vorfall. Dies ist nicht ausweisder erste Rauswurf von Passagieren, der für negative Schlagzeilen bei der Bahn sorgt. In den letzten Jahren warfen Bahnmitarbeiter vermehrt Kinder und Jugendliche, selbst in Abendstunden, aus den Zügen, weil diese keine Fahrkarten vorzeigen konnten. Ein besonders drastischer Fall ereignete sich erst vor drei Jahren als ein 15-jähriges Mädchen nachts bei minus 19 Grad zum Aussteigen gezwungen wurde, weil ihr zwei Euro für die Fahrkarte fehlten. Der Bahn-Konzern verfügte hierauf, dass Kinder nicht mehr aus Zügen geworfen werden dürfen. Vorstandschef Rüdiger Grube ließ verlautbaren, dass die Bahn „wieder sympathischer“ werden müsse.

Persönliche Daten für Online-Ticket

Das ist nun reichlich misslungen. Die junge Studentin Asya, die sich auf ihrer Rückfahrt aus den Winterferien aus München nach Berlin befand, hatte sich wie schon häufiger ein Online-Ticket auf der Homepage des Reiseanbieters LTUR gekauft. Die AGBs der Deutschen Bahn schreiben vor, dass sich jeder, der ein Online-Ticket kauft, sich auch ausweisen muss. Die Bahn befürchtet ansonsten einen Missbrauch durch Betrüger. Nach dem der Bezahlvorgang (unter Angabe des vollständigen Namens, der Adresse, Telefonnummer und Bankverbindung) abgeschlossen ist, muss eine Identifikationsmethode ausgewählt werden. Zur Identifikation gibt es drei Möglichkeiten. Eine Kreditkarte, EC-Karte oder ein Personalausweis. Asya wählte den Ausweis. Hierbei sollen Kunden die letzten vier Ziffern ihrer Ausweisnummer eintragen, was Asya auch tat. Nur nutzte sie dafür die Ziffern ihres russischen Reiseausweises.

Sieben Polizisten gegen eine Studentin

Als die junge Frau bei der Fahrausweiskontrolle ihren russischen Ausweis vorlegt, erwidert die Kontrolleurin „der ist nicht Deutsch, das muss ein deutscher Ausweis sein.“ Eine deutsche Adresse müsse auf dem Ausweis vermerkt sein, erklärt die Kontrolleurin weiter. Die Nennung ihrer Berliner Adresse, die die Studentin bereits beim Fahrkartenkauf angab, akzeptiert die Bahnmitarbeiterin nicht. Offenbar zweifelt sie den Aufenthaltsstatus der Russin an. Asya weigert sich eine neue Karte zu kaufen, da sie bereits für das Ticket bezahlt hat. Die Kontrolleurin zieht einen weiteren Kollegen hinzu. Trotz der Bitte der Studentin, die Identifizierung am Endbahnhof zu klären, betreten in Halle sieben Polizisten den Zug, um die wehrlose Frau mit aller Gewalt aus dem Zug zu zerren. Zur Hilfe eilenden Passagieren erklären die Polizisten, dass sie das Hausrecht der Bahn durchsetzen müssen. Dieses unverhältnismäßige Vorgehen wird nur publik, weil ein Journalist des SPIEGELs zufälligerweise anwesend ist. Auf der Onlineausgabe des Magazins wurden innerhalb von 3 Tagen über 800 Kommentare hinterlassen, in denen die Leser von ähnlichen Erfahrungen berichten.

Ausweis beim Bananenkauf

Doch eines wird in den Kommentaren besonders deutlich. Wieso benötigt die Deutsche Bahn so sensible persönliche Daten zur Beförderung von Passagieren? Ein Leser fasst diesen Missstand zusammen. „Wieso muss ich, um innerhalb Deutschlands zu reisen, einem Bahn-Mitarbeiter meinen Ausweis zeigen? Ein gültiges Ticket muss dem doch reichen. Was hat das Ticket mit meiner Nationalität, Anschrift oder Aufenthaltserlaubnis zu tun? Es ist bezahlt und sollte demnach reichen. Muss ich beim Bananenkaufen demnächst auch meinen Personalausweis vorzeigen?“ Bereits 2007 wurde das Unternehmen mit dem Negativpreis „Big Brother Award“ ausgezeichnet. Kritisiert wurden unter anderem der Trend, beim Verkauf von Fahrkarten nicht-anonyme Bezahlmethoden zu forcieren, sowie die unnötige Sammlung von Fotos und Geburtsdaten bei BahnCard-Kunden. Seit dem hat sich an diesem Trend wenig geändert. So wird das nichts mit dem „sympathischer“ werden. Immerhin hat die Bahn inzwischen ihre Anklage wegen Hausfriedensbruch wieder fallen lassen.

Ali Candemir