Der 1. September wird seit 1950 als der Tag für den „Weltfrieden“ gedacht. Er soll an den Zweiten Weltkrieg, der mit dem Angriff auf Polen am 1. September 1939 begann, erinnern. Wir haben mit Werner Ruf über die internationalen Entwicklungen gesprochen. Werner Ruf war Professor für Internationale und intergesellschaftliche Beziehungen und Außenpolitik an der Universität Kassel und beschäftigt sich mit Friedens- und Konfliktforschung.

Herr Ruf, wie schätzen Sie die Lage auf der Welt ein, im Bezug auf die Rivalitäten unter den Großmächten vor allem im Hinblick auf den 1. September, dem Weltfriedenstag oder Antikriegstag? Ist es in den letzten Jahren sicherer oder unsicherer geworden?

Die Welt ist keineswegs friedlicher und ich denke, dass wir auch im Augenblick dabei sind, einen Anfang einer Neuordnung oder eines neuen Durcheinanders im internationalen System zu erleben, denn die USA sind nicht mehr der alleinige und uneingeschränkte vor allem militärische Hegemon. Die Rivalitäten werden noch größer werden.

Könnten Sie die Rivalitäten ein wenig näher erläutern?

Das kann ich versuchen. Zbigniew Brzezinski, er war früherer Sicherheitsberater des Jimmy Carter, hat gerade ein faszinierendes Buch geschrieben, wo sehr deutlich wird, dass die USA auch aus Gründen ihrer inneren Situation im Bereich Erziehungswesen, im Bereich Infrastruktur, im Bereich Ökonomie usw. dabei sind, sich selbst zu ruinieren und dass sie deswegen die Großmachtrolle nicht mehr halten können. Wenn man in den Nahen Osten sieht, wie die USA Saudi Arabien, Katar und die Staaten des Golfkooperationsrats aufbauen als neue Kraft im Nahen Osten, um sich da zurückziehen zu können, dann kann einem sehr grauslig werden und wenn man sieht wie die Saudis in Ägypten, in Tunesien, in Marokko den Islamismus fördern, um ihrerseits eine getreue strenggläubige Wahabiten als Partner zu haben, dann sieht das alles auch gar nicht erfreulich aus, wenn man weiss, dass in Syrien Al-Qaida mitkämpft und wahrscheinlich in Libyen auch schon dabei war, da fällt der Westen bzw. die USA aus Stellvertretergründen anscheinend auf die alten Freunde zurück, die man mal hatte, als es in Afghanistan gegen die Sowjetunion ging.

Wie beurteilen Sie die Lage in Syrien? Können die Menschen auf eine baldige Lösung des Problems hoffen oder müssen sie sich auf einen langwierigen und schwierigen Prozess einstellen?

Ich fürchte, dass es keine baldige „lösung“ geben wird. Die syrische Armee ist natürlich immer noch an großer Faktor und es ist auch so, dass die Opposition nicht ganz offensichtlich einig ist. Es gibt Berichte, dass die Gruppen sich gegenseitig bekämpfen, weil sie sich gegenseitig das von Saudi Arabien gezahlte Geld abjagen wollen. Das ist also alles andere als eine einige Front, wie es hier immer wieder dargestellt wird, also das Volk gegen den Herrscher. Das ist auch nicht das Volk, sondern das sind viele ausländische Gruppierungen, die dort seit über einem Jahr kämpfen. Sogar die FAZ hat neulich berichtet, dass allein aus Libyen dreitausend Kämpfer in Syrien mitkämpfen und schießen. Es ist beinahe gesetzmäßig, dass, wo immer die USA in letzter Zeit entweder direkt interveniert haben oder intervenieren ließen, haben sie einen verfallenen Staat hinterlassen, sei es Afghanistan, sei es Irak oder sei es Libyen. In diese Richtung geht meines Erachtens die Entwicklung in Syrien, das ja ein konfessionell und ethnisch hochkomplexes Gebilde ist.

Welche Rolle spielen die USA bei diesem Konflikt?

Die USA haben eigentlich nur ein Interesse an der Region. Nämlich, dass das Öl fließt, dass das Gas kommt. Syrien ist in diesem Zusammenhang eher zu vernachlässigen. Die USA haben sich, meine ich, relativ zurückgehalten und sind vielleicht sogar darüber froh, dass China und Russland im Sicherheitsrat bisher eine Intervention à la Libyen verhindert haben. Anderseits können sich die USA nicht leisten, in einem Konflikt nicht präsent zu sein. Das alles ist eine schwierige Situation und ich denke, dass die USA unmittelbar vor den Wahlen im keinen Fall einen neuen Krieg wollen.

Wie beurteilen Sie die Haltung der BRD im Bezug auf Syrien? Es ist ja bekannt geworden, dass man mittels eines Spionageschiffs die erworbenen Informationen u.a. an die Opposition weitergeleitet hat.

Ich denke, die Bundesrepublik ist dabei, zu einem selbständigen internationalen Akteur zu werden. Das erfolgt natürlich im Augenblick immer in Absprache, in enger Zusammenarbeit mit den Bündnispartnern aber gegebenenfalls auch ohne. Denken Sie an die Enthaltung der Bundesrepublik im Sicherheitsrat bei der Resolution gegen Libyen. Das war ganz klar ein Signal „Wir machen unsere eigene Politik“ und haben da Interessen, insbesondere in Afrika und dann gehen wir nicht mit. Ich denke, dass Aktionen auch innerhalb des Bündnisses darauf gerichtet sind, dass die Bundesrepublik immer selbständiger werden kann, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen und dieses Spionageschiff ist nicht nur ein Skandal, weil das eine militärische Angelegenheit ist, die im Bundestag hätte entschieden werden müssen, sondern es ist auch das Signal „Wir sind überall dabei“.

Also kann man sagen, dass die BRD ihren eigenen Weg geht.

Zunehmend ja.

Die Türkei beliefert die so genannten Freiheitskämpfer mit Waffen, gibt ihnen logistische Unterstützung usw. Wie soll man also die Haltung der Türkei einordnen, der eine neo-osmanische Außenpolitik nachgesagt und eine Modell-Rolle für die anderen Länder in der Region zugeschrieben wird? Handelt sie als Teil der NATO auch in deren Sinne, oder versucht sie eigene Interessen durchzusetzen?

Die NATO ist ja nun nicht ein Bündnis, wo oben ein Kommando ist und alle Bündnismitglieder stehen stramm und marschieren mit. Man ist ja auch in der NATO, um eigene Interessen durchzusetzen. Ich denke, diesen Part spielt die Türkei im Augenblick sehr heftig. Sie versucht, eigene Interessen durchzusetzen und es gibt auch eine ganze Reihe von Analysen, die sagen, wenn Syrien zerbricht, wird der ganze Nahe und Mittlere Osten neu geordnet. Und eine Neuordnung des Osten, da hinter stehen mit Sicherheit neo-osmanische Vorstellungen der derzeitigen türkischen Regierung, das kann man schon so sagen. Und diese Vorstellungen sind natürlich auch begründet, denn wenn jetzt die Kurden im Irak einen höheren Grad an Autonomie haben, wenn in Syrien die Kurden ein eigenes Gebiet haben, das unter zumindest autonomer Verwaltung stünde, dann steht nicht nur die Neuordnung des Nahen Osten auf dem Plan, sondern dann steht auch die kurdische Frage für die Türkei in viel vehementer Weise auf der Tagesordnung und von daher erklärt sich, dass die Türkei durchaus als NATO-Partner aber auch selbständig in diesem Konflikt mitspielt, Rebellen bewaffnet usw. Und da ist sie nicht die einzige. Die Saudis und Kataris und andere genauso.

Ist ihrer Meinung nach das „concept of a Greater Middle East” der USA gescheitert oder erleben wir zur Zeit ihre Erfüllung?

Das muss man sich ein bisschen genauer anschauen. Georg W. Busch hat ja auch gesagt, es ging um die „democracy the Middle East“ er will also den Mittleren Osten demokratisieren. Hätte er das gewollt, dann hätte er den Krieg gegen Irak nicht führen dürfen und hätte ihn gegen Saudi Arabien führen müssen, denn da ist nun wirklich nicht mal ein Spurenelement von Demokratie zu erkennen. Also ging es ihm nicht um Demokratie, sondern es ging um militärische Hegemonie. Das was das Project for the New American Century gefordert hat, diese eindimensionale Sichtweise und der Glaube, man könne mit Militär alles machen. Die Geschichte hat gezeigt, dass man mit dem Militär keine Lösung gebracht hat, sondern alles sehr viel schlimmer gemacht hat, aber was man will, ist die Sicherung des Öls und zwar nicht nur der Ölreserven, sondern die Kontrolle der Pipelines und der Schifffahrtswege, mit denen das Öl transportiert wird und da hat Bush einiges geregelt. Irak exportiert mehr Öl als je zuvor auch wenn die Leute sich dort umbringen. Mit Saudi Arabien kann er die Meerengen von Bab Al-Mandab und die Straße von Hormus sichern oder glaubt zumindest, es sichern zu können. Das sind die entscheidenden Dinge, um die es geht. Es geht nicht um Demokratie. Und wenn sich die Völker dort selbst bestimmen könnten, dann wäre das wahrscheinlich nicht zugunsten des Westens

Israel bedroht den Iran ganz offen mit einem präventiven Erstschlag. In wieweit hängt der Syrien-Konflikt mit dem Iran-Konflikt zusammen?

Ich glaube, das hängt sehr wohl zusammen, denn Syrien ist der einzig Verbündete des Iran. Und deswegen muss, aus Sicht von Israel, Syrien in der gegenwärtigen Form mit dem gegenwärtigen Regime weg. Nicht weil Assad ein Verbrecher ist, das war er immer, und bis vor drei Jahren hat der Westen ihm noch Menschen geliefert, weil die Verhörmethoden in Syrien effizienter sind, als anderswo. Also das kann es nicht sein. Sondern es geht darum, den Iran  zu schwächen und das ist im Interesse des Israels, wobei die israelische Führung da offensichtlich sehr gespalten ist und gerade die Geheimdienste und hohe Militärs sind gegen einen Krieg, Weil sie genau wissen, dass der nicht so einfach sein wird und niemand weiß, Wie er ausgehen wird. Gleichzeitig hat der Assad dafür gesorgt, Trotz aller Rhetorik gegen Israelis die israelisch-syrische Grenze die sicherste und ruhigste war, die es  im Nahen Osten gegeben hat. Also das ist noch nicht ausgemacht. Ohne amerikanische unterste Unterstützung scheinen die Israelis nicht in der Lage zu sein, diesen Krieg zu führen und vor der Präsidentenwahl werden die USA sich nicht in weiteren Kriegsabenteuer stürzen, so dass die einzige Möglichkeit ist, dass Israel vielleicht alleine zuschlägt. Ob sie das tun oder nicht, dass  entzieht sich meiner Kenntnis. Die Gefahr jedenfalls besteht.