Kristina Hänel ist seit längerer Zeit im Fokus der Berichterstattung. Die Gießener Ärztin war verurteilt worden, weil sie laut Gericht und Staatsanwaltschaft gegen den Paragraphen 219a, der das Werben für Schwangerschaftsabbrüche untersagt, verstoßen hätte. Frau Hänel hatte auf ihrer Homepage Informationen über Schwangerschaftsabbrüche zur Verfügung gestellt. Der umstrittene Prozess gegen sie hat nicht nur die Diskussion um den § 219a, sondern auch den Widerstand gegen den § 218, der Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt, neu belebt. Am 20. März hat Kristina Hänel ihre Erlebnisse in ihrem Buch „Das Politische ist persönlich“ veröffentlicht. Wir hatten die Möglichkeit mit Frau Hänel ein Interview zu führen.

SERDAR DERVENTLİ – ALEV BAHADIR

Frau Hänel, Sie sind zu einer Geldstrafe von 6.000 € verurteilt worden, weil Sie gegen den §219a verstoßen haben. Ist das gerechtfertigt?

Für mich hat das mit Gerechtigkeit nichts zu tun. Ich als Ärztin bin ja dazu verpflichtet, meine Patientinnen zu informieren. Das ist meine ärztliche Pflicht. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich vor Gericht muss, weil es ja schon seit über 10 Jahren immer wieder diese Anzeigen gibt in Deutschland und sowohl die Polizei, als auch die Justiz bisher eigentlich kein Interesse daran gezeigt hatten, die Ärztinnen und Ärzte vor Gericht zu bringen und zu verurteilen.

Aber die Gießener Staatsanwaltschaft hat Sie angeklagt…

Ja, das lag an dem Abtreibungsgegner Yannic Hendricks. Der hat dem Staatsanwalt geschrieben, dass er die Einstellung des Verfahrens nicht akzeptiert und hat dem Staatsanwalt quasi die juristischen Argumente geliefert, warum die rein sachliche Information unter die Werbung fällt. Was man als normaler Mensch nicht versteht. Man sagt ja, wenn die Ärztin ganz normal sachlich informiert, ist das keine Werbung, das kann nicht verboten sein. Aber das ist nun mal das ganz Besondere an diesem § 219a, was es sonst in der deutschen Gesetzgebung nicht gibt. Ein Paragraph, der nicht unterscheidet zwischen Werbung und Information.

Durch Ihren Prozess kam es auch zu einer Bewegung. Dadurch wurde ja das Gesetz auch verändert. Sind Sie mit dieser Änderung zufrieden?

Nein, bin ich nicht. Das Einzige, was an dem Gesetz geändert worden ist, ist, dass jetzt Ärzte sagen dürfen, dass sie Abbrüche machen. Aber sie dürfen darüber hinaus nichts Inhaltliches sagen. Also das, was auf meiner Homepage steht, wo ich die Patientinnen aufkläre über die verschiedenen Methoden, was Vor- und Nachtteile und Risiken sind, das ist uns Fachleuten nach wie vor verboten. Das ist eine Zensur, das haben wir ja in Deutschland sonst eigentlich nicht. Aber an dieser einen Stelle haben wir das. Mit dem Argument, dass man Frauen die eigene Entscheidung, ob sie Kinder haben wollen oder nicht, nicht zutraut. Sondern dass der Staat die Information von Ärzten verbieten muss, weil er behauptet, dass man damit Leben schützen könnte, was ja nicht stimmt. Man kann keinen einzigen Schwangerschaftsabbruch verhindern, wenn man Frauen die Informationen vorenthält.

Die Anzeige haben Sie im August 2017 bekommen. Zunächst hat man davon kaum was mitbekommen. Aber dann…

Ich hab dann die Petition gestartet. Ich habe gemerkt, wenn man sich dagegen wehren will, muss man Öffentlichkeit schaffen. Das muss aus der Geheimniszone raus. Immer wenn man von den Rechten angegriffen wird, dann macht es keinen Sinn, sich zu verstecken. Die Öffentlichkeit schützt einen. Diese radikalen Abtreibungsgegner sind eine Randgruppe. Ich kriege von denen ständig Drohmails und einmal im Monat sitzen die neuerdings vor meiner Praxis und beten vor dem Eingang.

Also habe ich mich entschieden, dass ich das öffentlich machen muss und das hat dann eingeschlagen und die Bewegung ist auch noch nicht vorbei, nur weil der Bundestag jetzt erst einmal ein Gesetz verabschiedet hat in der Hoffnung, dass dann die Bewegung vorbei ist.

Es fehlen nicht nur Stellen, an denen man sich die Informationen beschaffen kann, sondern auch medizinisches Personal, das Schwangerschaftsabbrüche während seiner Ausbildung lernt. Ist das normal?

Der § 219a kommt eigentlich aus dem Nationalsozialismus und ist danach nur ein bisschen verändert worden, als das Grundgesetz eingeführt wurde. Den gibt es ja nun schon ganz lange. Dadurch, dass die Leute nie wussten, wie sie ihn verstehen sollen, weil er eben so unklar ist, hat er dazu geführt, dass z.B. Dozierende an der Uni dieses Thema auch nicht mehr behandeln, weil sie Angst hatten, dass sie von Studierenden angezeigt werden. Solche Fälle hat es auch gegeben. Dann machen sie an der Uni nur noch ethische Fragen, aber nicht mehr medizinische. Dann ist es ja noch so, dass hunderte von Ärztinnen und Ärzten in Deutschland angezeigt worden sind und Geld gezahlt haben, damit die Verfahren eingestellt werden. Das Ansehen war ja nie besonders groß, wenn jemand Abtreibungen macht. Aber diese Kriminalisierung, dass man vielleicht mit der Polizei zu tun kriegt, führt dazu, dass viele Ärzte sagen: Damit will ich mich nicht belasten. Das alles hat dazu geführt, dass in den letzten Jahren immer weniger Ärztinnen und Ärzte Abbrüche machen und die Versorgung irgendwann nicht mehr gewährleistet ist.

Aber ist das nicht fahrlässig aus medizinischer Sicht? Wenn so etwas nicht staatlich geregelt ist, dass es ein Teil der Ausbildung ist? Dann fangen die Menschen ja an, es illegal zu machen.

Ja, irgendwann ist das ja wieder die Konsequenz. Diese ganze Gesetzesform, wo man gesagt hat, die Frau darf das nicht selbst entscheiden, sondern der Schutz des ungeborenen Lebens ist wichtiger als das Selbstbestimmungsrecht, ist ja ein schwieriges Konstrukt in Deutschland, aber es ist die Rechtslage. Dazu gehört aber auch, dass wenn sich die Frau entschieden hat, auch das Angebot hat. Das ist eine Staatsaufgabe. Aber der Staat hat die ganzen letzten Jahre nichts dafür getan, um die Versorgung der Frauen zu gewährleisten. Das waren einzelne Ärztinnen und Ärzte, wie ich, die das noch von früher kennen, als es noch illegal war und die damals gesagt haben: wir müssen den Frauen diese Möglichkeit geben. Den Jüngeren ist das Problem nicht mehr bewusst. Und es gibt viele, die damit einfach nichts zu tun haben wollen. Kliniken wollen damit nichts zu tun haben, viele niedergelassene Frauenärztinnen und -ärzte wollen damit nichts zu tun haben. Das ist in manchen Städten zwar anders, aber in vielen Städten, sogar in Nordrhein-Westfalen, haben wir jetzt inzwischen schon ein Versorgungsproblem.

Der § 219a steht ja nicht nur alleine da. Es gibt ja den § 218, der eigentliche Paragraph zum Schwangerschaftsabbruch. Ein Gesetz, das seit 1871 im Strafgesetzbuch steht. Seitdem wurde er in verschiedenen Verfassungen übernommen. Wieso beharrt man so auf diesem Paragraphen?

Ursprünglich kommt das aus den Kriegszeiten. Das sieht man ja auch bei Hitler, der 1943 die Todesstrafe auf Abtreibung gesetzt hat, weil es Materialschlachten im Krieg gab. Das ist die Zeit, wo gesagt wurde: die Leute müssen Kinder kriegen, die dürfen keine Abtreibungen machen. Man hat versucht, ein bevölkerungspolitisches Instrument zu schaffen. Das kommt daher. Man hat aber natürlich eine jahrtausendlange Geschichte, dass die Männer entscheiden sollen, was mit einer Schwangerschaft passiert, und nicht die Frauen. Früher hat der Pater Familias entschieden, ob die Frauen die Kinder kriegen oder nicht. Dass die Frauen das wirklich selbst entscheiden dürfen, das gibt es ja momentan in ganz wenigen Ländern der Welt. Und immer werden Regelungen geschaffen, dass man Frauen vorschreibt, wann sie austragen sollen und wann sie abbrechen dürfen. Bzw. wenn man die Nationalsozialisten anschaut, da gehörten ja auch die Zwangsabtreibungen zur Bevölkerungspolitik dazu. Oft ist das vergesellschaftet. Auch hier und heute ist es so, dass die Abtreibungsgegner, die Radikalen, die jede Abtreibung verhindern wollen, nicht die syrischen Flüchtlingsembryonen wollen. Die meinen nicht die Migranten, diese Kinder wollen sie ja nicht schützen.

Durch diese sozialen Gesetze wird es den Frauen auch nicht leicht gemacht zu verhüten. Für die Pille muss bezahlt werden, für die Spirale auch. Frauen müssen für die Verhütung Geld aufbringen, was für grade junge Frauen, die keinen Job haben, sehr schwierig ist. Was sind die Forderungen der Frauen und auch von Ihnen als Ärztin?

Kostenloser Zugang zu Verhütungsmitteln, wenn man jetzt wirklich sagt, man möchte die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche so niedrig wie möglich halten. Das ist auch im Interesse der Frauen. Dazu muss ich natürlich sehen, dass für Frauen einerseits die Möglichkeit geschaffen werden muss, die Kinder zu bekommen. Dazu gehören sichere Arbeitsplätze, sichere Wohnungen, was auch immer schwieriger wird, besonders für Frauen. Andererseits braucht es sichere Verhütungsmittel. Dann braucht es eine gleichberechtigte Gesellschaft, in der die Frauen wirklich über ihre Sexualität bestimmen können. Und nicht diese sexuellen Gewalterfahrungen, wo sie von Männern gezwungen werden, die sich dann aber verdrücken, wenn die Frauen schwanger sind und sie alleine lassen. Das ist auch ein riesiges Problem, das sind keine Ausnahmen, sondern ein strukturelles Problem.