Seit Beginn der Corona-Pandemie erleben wir die größten Einschränkungen der Grundrechte in der Nachkriegszeit der Bundesrepublik. War die gesellschaftliche Akzeptanz für die Maßnahmen am Anfang der Pandemie sehr groß, wird die Kritik in den letzten Wochen immer lauter. Denn die wesentlichen Entscheidungen werden in Hinterzimmern von der Bundeskanzlerin gemeinsam mit den 16 Länderchefs getroffen. Sie entziehen sich einer parlamentarischen Kontrolle, weil die Regierenden mit Rechtsverordnungen die Maßnahmen umsetzen. Gleichzeitig fehlt auch die öffentliche Kontrolle, da die Absprachen und Diskussionen zwischen Merkel und den Ministerpräsidenten der Länder hinter verschlossenen Türen stattfinden und die Entscheidungsfindung nicht transparent ist. Im März, als wir alle zu wenig über das Virus wussten und auf die Krise schnell reagiert werden musste, war das noch ein Stück weit nachvollziehbar. Jedoch ist es undemokratisch, dass auch Monate später Entscheidungen getroffen werden, ohne dass es im Vorfeld eine gesellschaftliche und parlamentarische Debatte stattfindet. Faktisch haben die Parlamente nichts mehr zu entscheiden und sind entmachtet. Die Opposition ist dazu verdammt, von der Zuschauertribüne die Entscheidungen zur Kenntnis zu nehmen. Dabei lautet ein zentrales Prinzip der parlamentarischen Demokratie, dass die wesentlichen Entscheidungen im Gemeinwesen vom Gesetzgeber getroffen werden und nicht von den Regierungen. Die Bundesregierung zeigt aber immer aufs Neueste, dass sie dazu bereit ist, demokratische Prinzipien zu opfern, um ihren autoritären Kurs der Krisenbewältigung möglichst ohne Widerstand durchzudrücken.

Die Appelle der Regierenden nach Eigenverantwortung klingen wie ein Hohn, wenn z.B. geflüchtete und wohnungslose Menschen in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht oder der Infektionsschutz vor dem Werkstor endet, weil in Betrieben kaum kontrolliert wird. Die Verantwortung wird auf die Bevölkerung abgewälzt, während die Eigentümer der Betriebe nicht zur Verantwortung gezogen werden. Noch vor ein paar Monaten wurden die Fleischverarbeitenden Betriebe als Pandemietreiber ausgemacht, weil Beschäftigte aus Osteuropa unter menschenunwürdigen Zuständen wohnen und arbeiten mussten. Es wurde von der Bundesregierung angekündigt, dass Werkverträge in der Fleischindustrie verboten werden sollten. Nach dem Lobbyisten der Fleischindustrie Druck gemacht haben, ist davon nicht mehr die Rede. Während gegenüber Jugendlichen oder sogar Schulkindern von Polizisten Bußgelder verhängt werden, weil sie die Kontaktbeschränkungen nicht beachtet haben, müssen Betriebe, die nicht den Infektions- und Arbeitsschutz gewährleisten, kaum Konsequenzen fürchten, weil sie sehr selten kontrolliert werden. Und während private Treffen auf zwei Haushalte beschränkt sind, sitzen bis zu 30 Kinder stundenlang in den Klassenräumen zusammen – ohne die Klassen zu teilen und ohne Lüftungsgeräte, die den Gesundheitsschutz erheblich stärken würden.

Gleichzeitig versammelten sich in den vergangenen Wochen und Monaten wiederholt tausende Menschen, um gegen die Maßnahmen der Regierung zu protestieren. Auf diesen Demonstrationen sprechen vor allem Personen aus der rechten Szene. Verschwörungstheorien werden verbreitet, von Masken und Sicherheitsabstand fehlt jede Spur. Auch wenn am 18. November bei der Kundgebung im Regierungsviertel mit Wasserwerfern gegen die„Corona-Leugner“ vorgegangen wurde, konnten und können sie trotz keinerlei Sicherheitsmaßnahmen laufen und sich versammeln. Während bei fortschrittlichen Kundgebungen und Demonstrationen vieles eingeschränkt wird oder die Demonstrationen ganz untersagt werden (wie in Hanau am 19. August) dürfen Rechte in Leipzig, trotz ihrer Ankündigungen keine Maßnahmen einzuleiten, laufen.

Die Krisenbewältigung kann nur gelingen, wenn durch breite demokratische Beteiligung Vertrauen und Akzeptanz für die Maßnahmen geschaffen werden. Deshalb ist es wichtig, dass unter maximaler Transparenz und Klarheit die Entscheidungen in den Parlamenten entschieden und alle Maßnahmen evaluiert werden. Aber das alleine reicht nicht aus. Es ist wichtig und notwendig die Gesellschaft als Ganzes, insbesondere die arbeitende Bevölkerung, die das Land Tag für Tag auf den Beinen halten, einzubeziehen. Zu Beginn der Pandemie wurden z.B. die Pflegekräfte, die Erziehenden, die Lehrkräfte als „systemrelevant“ gefeiert. Jedoch wird ihre Expertise bei der Bewältigung der Krise nicht gefragt. Auch beim Arbeitsschutz in den Betrieben haben die Beschäftigten kaum Mitspracherechte. Im Endeffekt sehen wir auf wessen Kosten und zu wessen Vorteil die Krisenbewältigung der Regierung läuft. Billionen an Wirtschaftshilfe flossen vor allem an jene Unternehmen, die gleichzeitig Millionen an ihre Aktionäre ausschütten. Gleichzeitig sollen wir Werktätigen auf der Strecke bleiben. Deshalb müssen wir jetzt umso lauter den Umgang mit unseren Rechten kritisieren, aber gleichzeitig entschieden gemeinsam kämpfen gegen Rassismus, gegen Kurzarbeit,überfüllte Klassenzimmer und so vieles mehr.