Der Vorschlag des IG Metall Vorsitzenden Jörg Hofmann, bei „teilweisem Lohnausgleich eine Vier-Tage-Woche“ einzuführen, hat in Deutschland eine breite Diskussion ausgelöst. Während die Grünen, die Linke und die SPD den Vorschlag unterstützen, hat sich die CDU/CSU bislang nicht dazu geäußert und die FDP hat erklärt, entschieden dagegen zu sein. Im Industriebereich sieht die Situation anders aus: dort wird dem Vorschlag prinzipiell zugestimmt, aber auch gefordert, dass „die Löhne sinken müssen“. Vom Blickwinkel der Werktätigen lässt sich sagen, dass die Vorschläge diesbezüglich eigentlich auf die Rettung der Industrie abzielen. Es ist aber noch nicht zu spät, die Diskussion voranzutreiben und die Forderung im Sinne der Kolleginnen und Kollegen richtig zu stellen.
IG Metall Chef Jörg Hofmann hat als Antwort auf die durch die Krise drohende Massenarbeitslosigkeit vorgeschlagen, die Wochenarbeitszeit auf 4 Tage zu verkürzen. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sprach Hofmann davon, dass die Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld auf 24 Monate verlängert werden und den von Insolvenz bedrohten Unternehmen von der Regierung Mittel zur Verfügung gestellt werden sollten. „Die Vier-Tage-Woche wäre die Antwort auf den Strukturwandel in Branchen wie der Autoindustrie. Transformation darf nicht zur Entlassung, sondern muss zu guter Arbeit für alle führen. Damit lassen sich Industriejobs halten, statt sie abzuschreiben“, so Hofmann.
Weiter führte er aus: „Unternehmen wie Daimler, ZF und Bosch vereinbarten gerade kürzere Arbeitszeiten. Künftig sollte allen Betrieben der Metall- und Elektroindustrie dieser Weg offenstehen“. Als Anreiz solle es einen gewissen Lohnausgleich geben: „Ich bin optimistisch, dass wir auch diesmal eine Lösung in der Kombination von Zeit und Geld finden“.
Welche Reaktionen folgten auf den Vorschlag?
Die Diskussion um Arbeitszeitverkürzung hat bei einem Teil der Industrie für die klassischen Reaktionen gesorgt. Besonders die Sprachrohre der Unternehmen, namentlich Zeitungen, wie die FAZ oder die Welt bewerten den Vorschlag wie folgt: „die nutzlose Idee von kurzsichtigen Gewerkschaftern, die sie aus der Mottenkiste herausgekramt und uns neu zu vermarkten versuchen“.
Während die – schon längst von der Wirtschaft abgeschriebene – FDP selbst die Diskussion um Arbeitszeitverkürzung als „schädlich“ bezeichnet, ist das Schweigen der Union fast verdächtig. Die Grünen, die Linke und die SPD haben, mit dem Verweis, dass das Thema auch auf ihrer Agenda stehe, verkündet, die Vorschläge Hofmanns zu unterstützen.
Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände haben verkündet: „Der Vorschlag nach Arbeitszeitverkürzung ist angebracht. Aber ohne Lohnausgleich“ und somit sowohl die Kapitalnahen Medien, als auch die Parteien angezogen.
„Es gibt einen Weg für einen teilweisen Lohnausgleich: Hartz IV“
Die Arbeitgeberverbände, die sich nun hinter eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich stellen, möchten, dass der Einkommensverlust durch den Staat gedeckt wird.
Manche, wie Ariane Reinhart, Personalchefin bei Continental, fordern, dass die Kurzarbeit andersherum eingeführt wird. So sollen die Arbeiter, je nach Bedürfnis und Stand der Produktion, in Kurzarbeit gehen. Die Lohndifferenz soll von der Arbeitslosenversicherung beglichen werden. Ist jemand also gezwungen 60 % zu arbeiten, sollen die übrigen 40 % durch die Arbeitslosenversicherung übernommen werden.
Laut Dietrich Creutzburg, der für Zeitungen, wie die FAZ und Handelsblatt, über Soziales und Wirtschaft schreibt, ist der einfachste und sicherste Weg für den teilweisen Lohnausgleich Hartz IV. Die Werktätigen, die aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage des Betriebs, in dem sie arbeiten und die deshalb in Kurzarbeit gehen müssen, sollen ihre Lohnlücke über Hartz IV schließen.
„Das ist gewissermaßen ein Kurzarbeitergeld II. In der klassischen Kurzarbeit beantragt der Arbeitgeber das Kurzarbeitergeld, in nicht-klassischen Zeiten kann das der Arbeitnehmer tun“.
Das „VW Modell“ für Deutschland
1994 hatte das Automobilunternehmen VW erklärt, dass die Geschäfte nicht gut laufen würden und man deshalb mehr als 30.000 Mitarbeiter entlassen werde. In einer Übereinkunft zwischen der IG Metall und VW wurde die Wochenarbeitszeit auf 28,8 Stunden gesenkt – ohne Lohnausgleich. Damit ist der Lohn der VW-Arbeiter im Durchschnitt um 16 % gefallen. Um den Unterschied nicht zu spürbar zu gestalten wurden das Weihnachtsgeld, das Urlaubsgeld und die jährliche „Gewinnbeteiligung“ auf die Monatslöhne verteilt.
Genauso wie damals auch, drohen die Arbeitgeber mit: „entweder verliert ihr eure Jobs oder ihr seid mit einem Lohnverlust einverstanden“. VW hatte damals die Arbeitszeit bis aufs letzte Maß flexibilisiert und mehr als 150 flexible Arbeitsmodelle eingeführt.
Der damalige VW-Personalchef Peter Hartz sagte: „Wenn wir wollen, dass unsere Wettbewerbsfähigkeit auf dem internationalen Markt zunimmt, muss das VW-Modell auf ganz Deutschland angewandt werden“. VW hat das Modell der 4-Tage-Woche 2006 zurückgenommen und ist zur 35-Stunden-Woche zurückgekehrt. Auch heute wollen die deutschen Unternehmen, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, auf das VW-Modell zurückgreifen.
Nein zu Lohnerpressung und Entlassungen!
Die Länge bzw. Kürze der Arbeitszeit und das damit verbundene Niveau der Löhne war schon immer im Zentrum im Kampf zwischen Arbeit und Kapital. Während die Kapitalseite stets versucht die Arbeitszeit zu verlängern, kämpfen die Arbeiter dafür, sie zu verkürzen. Die Kapitalseite will die Löhne senken, die Arbeiter kämpfen für die Erhöhung der Löhne. Das ist die Grundlage des „klassischen“ Gewerkschaftskampfes.
Hofmanns Vorstoß, „die 4-Tage-Woche bei teilweisem Lohnausgleich“, bleibt weit hinter diesem klassischen Kampf zurück und ist das Produkt einer auf Sozialpartnerschaft ausgerichteten Gewerkschaftspolitik.
Die bei Daimler, ZF oder Bosch geschlossenen Verträge beinhalten weder einen teilweisen Lohnausgleich, noch verhindern sie Entlassungen. Die Gewerkschaftsbürokratie hat die Forderung nach einer kollektiven Arbeitszeitverkürzung ab Mitte der 1990er aufgegeben. Stattdessen wurden unter der Berücksichtigung der „wirtschaftlichen Bedingungen der Unternehmen“ und den angeblichen „individuellen Bedürfnissen“ der Arbeiter mehr Abschlüsse getätigt, die die Tore zu einer Flexibilisierung der Arbeitszeit geöffnet haben (siehe Tarifverträge vom 2004: „Pforzheimer Abkommen“ und 2018 „Mehr Flexibilität – mehr Volumen“).
Deshalb müssen wir gegen Verträge kämpfen, die unter dem Vorwand „der Sicherung der Arbeitsplätze“ unsere Löhne kürzen, tausende Mittel und Wege finden, um uns doch zu entlassen und die Lasten der Krise auf uns abwälzen! So müssen wir uns auch gegen die Teile in den Gewerkschaften widersetzen, die für Sozialpartnerschaft stehen.
Die 30-Stunden-Woche bei vollem Personal- und Lohnausgleich!
Deshalb müssen wir die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung auf die richtige Art und Weise stellen und den Kampf dafür organisieren. Die Forderungen müssen lauten: „Die Wochenarbeitszeit muss auf 30 Stunden bei vollem Personal- und Lohnausgleich reduziert werden!“, „Verbot von Kündigungen!“. Außerdem müssen wir auch die Vergütung der verlorenen Löhne der vergangenen Monate fordern.
Die IG Metall hat in überall in den Fabriken die Diskussion um „die 4-Tage-Woche bei teilweisem Lohnausgleich“ und die „Lohnforderung“ gestartet. Deshalb müssen alle aufrichtigen Gewerkschafter, die auf der Seite der Werktätigen stehen, sich gegen die Gewerkschaftsbürokratie stellen, damit die Lasten der Krise nicht von den Arbeitern getragen werden. Außerdem; es wäre im Moment klüger, statt die 4-Tage-Woche zu fordern, bei der Forderung 30-Std. Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich zu bleiben. Denn die 4-Tage-Woche würde nicht automatisch zu einem längeren Wochenende führen, sondern unweigerlich zu weiterer Flexibilisierung der Arbeitszeiten führen. Die Gewerkschafter, die auf Sozialpartnerschaft abzielen, werden als erstes folgendes anbringen: „Wir sind in einer Krise, den Unternehmen droht die Insolvenz, ihre Liquidität ist gering, wir können nicht im gleichen Moment fordern, dass die Löhne gehalten und dann noch erhöht werden“.
Das stimmt aber nicht für ganz Deutschland: Heinz-Josef Bontrup, Professor für Arbeitsökonomie erklärt, warum die Forderung nach einer 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich angemessen ist: Die deutschen Unternehmen haben flüssige Mittel in Höhe von nahezu 520 Milliarden Euro, mit anderen Worten Gelder, die nach Investitionen, Dividendenzahlungen und Abbezahlung von Schulden übrig bleibt. Dagegen sind die Löhne seit 1993 konsequent gesunken. Als Folge haben die Werktätigen in diesen Jahren 1,4 Billionen Euro verloren, die zum Einkommen der Unternehmen wurden (Frankfurter Rundschau, 18. August 2020). Hinzu kommen noch die Rettungspakete in Billionenhöhe und das 130 Milliarden Euro schwere Konjunkturpaket.
Heute zeigt das kapitalistische System sein wahres Gesicht. Das gibt uns aber auch gleichzeitig die Chance unseren Kampf dagegen gestärkt zu führen. Es ist jetzt die Zeit, um zu kämpfen!
KASTEN
EIGENTLICH KOMMT DER VORSCHLAG VON DEN UNTERNEHMEN
Egal wie sehr Hofmann es „mein Vorschlag“ nennt, kam der Vorschlag einer Arbeitszeitverkürzung eigentlich von der Continental-Personalchefin Ariane Reinhart. In einem Artikel im Handelsblatt vom 29. Juni stand: „Die Prognose ist erschreckend: Statt über 98 Millionen Fahrzeuge wie 2018 rechnen Experten in diesem Jahr mit einem Einbruch der weltweiten Produktion auf höchstens 70 Millionen Fahrzeuge. Überkapazitäten von etwa einem Drittel werden unweigerlich tausende Jobs kosten. Denn die Flaute auf dem Automarkt könnte bis ins Jahr 2025 reichen“.
Nachdem in dem Artikel betont wurde, dass die Automobilindustrie nach „Auswegen“ suchen, wird Reinhart zitiert: „Eine Idee könnte sein, die Arbeitszeit kollektiv abzusenken, was tarifvertraglich auch möglich wäre. In einem solchen Fall wäre insbesondere für die niedrigen Tarifgruppen eine Aufstockung durch die Bundesagentur für Arbeit erstrebenswert.“
Reinhart, die betonte, dass Kurzarbeit keine Dauerlösung sei, machte klar, dass sich manche Sachen ändern müssten, damit die Unternehmen Entscheidungen für die Zukunft treffen könnten. Unternehmen, die in Kurzarbeit sind, können nicht einfach Personal abbauen. Aber wenn eine kollektive Arbeitszeitverkürzung bei Lohnausgleich durch den Staat erfolgt, statt gesetzlich geregelte Kurzarbeit, genau wie die Unternehmen es möchten, wird auch die Hürde für Massenentlassungen abgeschafft.
Bei Daimler, ZF und Bosch wurde die Arbeitszeit gekürzt
Während Continental auf eine Gesamtlösung wartet, haben sich Unternehmen, wie Daimler, ZF oder Bosch, bereits mit der IG Metall über Arbeitszeitverkürzungen geeinigt. Der bei ZF abgeschlossene Tarifvertrag, der den Namen „Tarifvertrag Transformation“ trägt, nennt „zwei Jahre Sicherheit für Mitarbeiter“ in einem Atemzug mit „Flexibilität für das Unternehmen“. So kann ZF, wenn es die Unternehmensleitung als „notwendig“ betrachtet, 50.000 Werktätige in Kurzarbeit schicken, die Arbeitszeit um bis zu 20 % senken, Altersteilzeit und Abfindungen anpassen.
Was wichtig zu erwähnen ist: Diejenigen, die jetzt glauben, dass mit diesem Tarifvertrag die Kündigung von 15.000 Mitarbeitern, die ZF vorher angekündigt hatte, verhindert wurde, liegen falsch. So heißt darin: „Die Vereinbarung beinhaltet weitreichende Instrumente zur Flexibilisierung der Personalkapazitäten, die es dem Unternehmen erlauben, diese an die Marktlage anzupassen“. Mit dieser Praxis reduziert ZF seine Personalkapazität um praktisch 10.000 Vollzeitmitarbeiter. Und wie oben bereits erwähnt, lässt sich ZF mit Altersteilzeit und Abfindungen die Option 15.000 Arbeiter zu entlassen offen.
Bei Bosch wurde die Arbeitszeit von 35.000 Werktätigen ohne Lohnausgleich um 8,57 bis 10 % gekürzt. Bei Daimler wurden im Rahmen des Tarifvertrags in den Verwaltungsabteilungen und den produktionsnahen Abteilungen ohne Lohnausgleich zwei Stunden, also 5,71 % – der Wochenarbeitszeit gekürzt.
In allen diesen drei Unternehmen, werden dieses Jahr keine Sonderprämien oder tariflich vereinbarte Sonderzahlung (T-ZUG) in Höhe vom 400 Euro ausgezahlt.
Zugezogene Literatur
(1) sueddeutsche.de/politik/rezession-die-vier-tage-woche-waere-die-antwort-1.5000345
(2) handelsblatt.com/unternehmen/industrie/zulieferern-conti-bringt-absenkung-der-kollektiven-arbeitszeit-ins-spiel-heisser-auto-juli-steht-bevor/25953160.html?protected=true
(3) press.zf.com/press/de/releases/release_17729.html
(4) Karl Marx kritisiert in seiner Vortrag mit dem Titel „Lohn, Preis und Profit“ den Kampf der Gewerkschaften, die wir in unserem Artikel als „klassisch“ definieren so: Statt des konservativen Mottos: „Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk!“, sollte sie auf ihr Banner die revolutionäre Losung schreiben: „Nieder mit dem Lohnsystem!“
2. Erweiterte und korrigierte Auflage, übersetzt von Alev Bahadir
1. Auflage erschienen in Yeni Hayat Nr.263
Online unter: https://yenihayat.de/2020/08/27/30-saatlik-calisma-haftasi/
Kommentare von Serdar Derventli