10171713_538922216220692_7714129126506751670_nAndrej Hunko ist MdB für die Partei Die Linke und hat vor wenigen Wochen die Bürgerkriegsregion Ostukraine besucht. Wir haben ihn nach seinen Erfahrungen und Erlebnissen gefragt, die wir hier gekürzt wiedergeben.

Wie ist die Situation vor Ort?

Ich war vor wenigen Tagen im Osten der Ukraine, in Donezk. Anlass war eine Hilfslieferung, die wir organisiert haben. Wir haben hier in Deutschland Spenden für Medikamente gesammelt und sieben Tonnen Medikamente in vier Lkws nach Donezk, nach Gorlowka und nach Luhansk gebracht und hatten in diesem Zusammenhang auch die Möglichkeit, uns die Situation vor Ort anzuschauen. Es ist wirklich ganz schlimm. In Donezk sind wir durch ein Viertel gefahren, wo fast jedes Haus zerstört war. Auch in Schulen und Krankenhäusern haben wir Einschläge gesehen, Tankstellen waren gezielt bombardiert worden. Es ist eine furchtbare humanitäre Katastrophe und auch die WHO hat vor wenigen Tagen nochmal Alarm geschlagen wegen des völligen Zusammenbruchs der medizinischen Versorgung.

Kann man momentan nicht mit humanitären Hilfen rechnen?

Das Problem ist ein politisches, weil die Frage des Status des Donbass ungeklärt ist. Das ist ja ein Teil des Krieges. Die „Separatisten“ fühlen sich legitimiert durch ein Referendum und durch Wahlen und sagen, dass sie nicht mehr zur Ukraine gehören, sondern die „Volksrepublik Donbass“ oder „Volksrepublik Luhansk“ usw. sind, aber der Westen erkennt das nicht an. Und in einer solchen Situation ist es sehr schwierig, humanitäre Hilfe zu leisten.

Die Situation vor dem Umsturz vor einem Jahr war so, dass die Hälfte des Landes nach Westen orientiert war, zur Europäischen Union wollte, die andere Hälfte Russland orientiert war, insbesondere im Osten und das grundlegende Problem war, dass man den Menschen nicht die Möglichkeit gegeben hat, das per Referendum zu klären. Wenn man einseitig versucht, das Land in den eigenen Einflußbereich zu ziehen, wie das auf der einen Seite von den USA und auf der anderen Seite von Russland gemacht wurde, dann ist der Bürgerkrieg unvermeidlich, das habe ich vor einem Jahre in meiner Rede im Bundestag schon so gesagt. Jetzt ist der Bürgerkrieg leider da.

Worum geht es bei dem Konflikt im Kern?

Ich glaube, es geht um Russland. Aus russischer Sicht, und dafür braucht man kein Anhänger von Putin zu sein, wird Russland von der NATO immer mehr eingekreist. In Polen soll ein Raketensystem aufgestellt werden. Hinzu kommen Zurückweisungen der Europäischen Union gegen die Vorstöße von Russland, ein gemeinsames europäisches  Sicherheitssystem zu schaffen. Bei den Auseinandersetzungen in Libyen wurde Russland übergangen, dann kamen Diskussionen bezüglich Syrien dazu, dass immer mehr die Situation eines kalten Krieges entstand und die Ukraine wurde der letzte Tropfen in dieser Entwicklung. Nach dem Umsturz am 21./22. Februar 2014 in Kiew war die russische Schwarzmeerflotte auf der Krim bedroht. Das erste Gesetz im neuen ukrainer Parlament beschlossen werden sollte, war das Verbot der russischen Sprache in der Ukraine usw.

Sie haben auch mit dem selbsternannten Ministerpräsidenten der Volksrepublik Donezk, Alexander Sachartschenko, gesprochen. Was möchte er?

Es war ein kurzes Treffen. Wir haben keine ausführlichen Gespräche über die weitergehenden politischen Ziele führen können. Wir haben ihn gefragt, ob er die Minsker Vereinbarungen einhalten möchte. Zwei Tage bevor wir in Donezk waren, hatten sich Sacharschenko, Putin, Merkel, Hollande und Poroschenko in Minsk getroffen und einen Waffenstillstand vereinbart. Die Antwort war: Ja, sie möchten den Waffenstillstand einhalten. Und ich habe ihn noch gefragt, wie es mit den Wahlen aussieht, die ja auch in der Minsker Vereinbarungen angekündigt sind. Und da hat er auch gesagt, sie möchten die Wahlen durchführen. Als ich im April 2014 in der Ukraine war, wollten damals laut Umfragen 69% Prozent ein Teil der Ukraine bleiben, aber forderten eine Föderalisierung des Landes, sie wollten mehr regionale Rechte haben. Und ich glaube, dass die einzige Möglichkeit, wenn man die Ukraine als Gesamtstaat zusammenhalten will, dass man so eine föderale Struktur akzeptiert. Aber das wird bisher von Kiew abgelehnt.

Was will Russland?

Ich glaube, in Europa kann es nur Frieden geben unter Einschluss von Russland. Und das ist auch eine Erfahrung aus dem 20. Jahrhundert. Natürlich wissen wir, dass auch Russland eigene Großmachtsinteressen vertritt, dass auch Putin eine gewisse militärische Unterstützung, auch der Separatisten oder der Aufständischen Donbass liefert. Aber es gibt auf beiden Seiten Waffenlieferungen, in welchem Ausmaß, da kann man sich drüber streiten. Wir haben zum Beispiel keine russischen Panzer oder schwere Waffen gesehen. Wir haben ganz alte ukrainische Panzer gesehen am Flughafen in Donezk. Und es gibt auch freiwillige aus Russland, die in der Ostukraine kämpfen.

Ich glaube, dass Russland gar nicht so viel Interesse am Donbass hat, weil das auch ökonomisch schwierig zu tragen wäre. Das Ziel von Russland ist, um diese NATO-Osterweiterung zu stoppen, in der Ukraine eine Art frozen-conflict zu installieren, um zu verhindern, dass die Ukraine als Ganzes in die NATO geht.

Was wird nun aus der Ukraine?

Wir  haben in der Ukraine grundsätzlich das Problem, dass das Land sozial- und ökonomisch sehr schlecht dasteht. Es gibt kein europäisches Land, inklusive Russland, wo die Konzentration von Vermögen und die Macht der Oligarchen direkt auf die Politik so groß sind, wie der Ukraine. Die meisten Oligarchen beherrschen die Politik. Viele, die vor einem Jahr zum Maidan auf die Demos gegangen sind, haben die Hoffnung gehabt, dass sich das ändert. Aber das ist überhaupt nicht der Fall, sondern die ganze soziale Frustration in der Ukraine, auch in der West- und Mittelukraine ist eigentlich nationalistisch umgelenkt worden. Die soziale Frage ist nicht als soziale Frage behandelt worden, sondern sie ist umgelenkt worden in diesen Bürgerkrieg, in die Feindschaft gegen Russland und es gibt keine Diskussionen jetzt um die Entmachtung der Oligarchen.

Also es ist tatsächlich eine ernstzunehmende Gefahr, dass es zu einer größeren militärischen Auseinandersetzung kommt, weil die gleichen Kräfte auf beiden Seiten, die den Konflikt bis hierhin gebracht haben, weiterhin noch da sind und den Konflikt weiter treiben. Und ganz konkret stehen wir vor der Frage der Waffenlieferung, die in der US Regierung diskutiert wird und die Ausbildung des ukrainisches Militärs, was wiederum zum Widerspruch zur deutschen Politik führt. Innerhalb des Bündnisses gibt es unterschiedliche Linien, und die aggressivere Politik macht im Augenblick die USA.

Was können Menschen in Deutschland tun?

Man muss eine große  Protestbewegung organisieren, noch sind diese viel zu klein. Es ist ja schon so, dass viele Menschen kritisch sind und auch keinen neuen kalten Krieg mit Russland wollen. 81% der Deutschen z.B. sind gegen Waffenlieferung und es muss gelingen, dass diese Stimmung auch sich politisch, auch im Protest oder im Widerstand äußert. Auch in den USA ist es nicht so eindeutig. Da gibt es auch viele kritische Stimmen, die sagen, das bringt alles überhaupt alles gar nichts, das jetzt weiter zu eskalieren. Also man muss diese Kräfte stärken und diese aggressiven Kräfte zurückdrängen.

Yeni Hayat/Neues Leben