Die türkische und die deutsche Regierung haben beschlossen, die Wahlurnen für die Wahlen in der Türkei nach Deutschland zu holen. Nun wird dieser Beschluss kommenden August durchgesetzt. Somit können die in Deutschland lebenden Türkeistämmigen mit türkischem Ausweis an vielen Wahllokalen ihre Stimmen abgeben. Die Diskussionen im Vorfeld des Köln-Besuchs von Erdogan Ende Mai machten deutlich, dass es um mehr als ein Kreuz auf dem Stimmzettel geht.
Sowohl dieser Besuch, als auch die Wahlen sorgen nicht nur für eine Spaltung zwischen türkeistämmigen Menschen und Menschen ohne Migrationshintergrund, sondern auch unter den Türkeistämmigen selber. Obwohl diese von der politischen, ökonomischen und sozialen Situation in der Türkei nicht persönlich betroffen sind, werden sie Teil der politischen Diskussionen in der Türkei. Die Politik in Deutschland, die sie unmittelbar betrifft, gerät in den Hintergrund.
Glaubt man der türkischen und auch der Bundesregierung, wird damit ein wichtiges Demokratiedefizit beseitigt. Doch Fakt ist, dass die Teilhabe am politischen Leben und das aktive und passive Wahlrecht in Deutschland als grundlegende Rechte trotz dieses Beschlusses verwehrt bleiben. sind. Dieses Demokratiedefizit kann nur dadurch beseitigt werden, wenn man den ca. 1,5 Millionen Türkeistämmigen (und anderen Drittstaatenangehörigen) in Deutschland die Teilnahme an Wahlen in Deutschland zuerkennt. Die Möglichkeit der Beteiligung an den Wahlen in der Türkei leistet keinen Beitrag zur Lösung ihrer politischen, ökonomischen und sozialen Probleme. Wichtig ist die Teilhabe an der Entscheidung, wenn es um den eigenen Stadtteil, um die eigene Stadt oder um das eigene Land geht. Millionen von Menschen ohne deutschen Pass, die seit nunmehr über 50 Jahren ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, werden durch die bestehende Rechtslage von diesem Grundrecht ausgeschlossen. Dies macht sie zu Bürgern zweiter Klasse und schadet auch dem Zusammenleben in Deutschland. Mit der Möglichkeit der Beteiligung an türkischen Wahlen wird von diesem Ausschluss und der Heuchelei abgelenkt.
Es liegt auf der Hand, dass die Türkeistämmigen weiterhin Interesse für die Ereignisse emotionale Bindung zu ihrem Herkunftsland zeigen. Solidarität mit der Arbeiter-, Demokratie- und Friedensbewegung in der Türkei zu leisten, ändert nichts an der Tatsache, dass der Lebensmittelpunkt der hier lebenden Türkeistämmigen Deutschland ist. Somit können die Probleme, die sie haben in Deutschland gelöst werden.
Durch einen Wahlkampf bei der Wahl des türkischen Staatspräsidenten in Deutschland befürchten wir die Vertiefung bestehender Spaltungen. Das Tragen politischer Wahlkämpfe nach Deutschland wird dazu beitragen, die Türkeistämmigen in Aleviten und Sunniten, in Türken und Kurden, in Gläubige und Atheisten zu spalten.
Deshalb fordern wir die Beseitigung aller rechtlichen Barrieren, die die Menschen mit Migrationshintergrund an der Wahrnehmung ihrer demokratischen Rechte hindern. Für sie fordern wir das Wahlrecht auf kommunaler und Bundesebene sowie die Erleichterung der rechtlichen und ökonomischen Voraussetzungen der Einbürgerung.
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