is_kazasiNach dem Unfall in Ermenek, an dem 18 Arbeiter weiterhin vermisst sind, wird der Grund hierfür bei „geldgierigen Arbeitgebern und Firmen“ gesucht. Diese Logik, die auch kund tat, dass „Unfälle mit Todesfolge in der Natur der Sache“ läge, muss auch zugeben, dass Profitgier ein nachvollziehbares, logisches Interesse von Arbeitgebern ist. Dass aber der Tod ein zu akzeptierendes Schicksal oder logische Folge von Arbeit sei, ist nicht hinnehmbar. Die Aufgabe der Regierung, wenn sie denn wirklich am Schutz von Arbeitern interessiert ist, ist nicht, sich über die Geldgier der Arbeitgeber zu beschweren. Die Aufgabe der Regierung ist es, Gesetze zu erlassen, die die Profitgier der Arbeitgeber reguliert und Maßnahmen zum Schutz von Arbeitern vorgibt. Mit entsprechenden rechtlichen Vorgaben könnte die Regierung den gierigsten Arbeitgeber zügeln und den unvorsichtigsten Arbeiter schützen. Gesetze sind keine Texte in denen gute Wünsche formuliert werden. Die Regierung ist kein Gremium, welches das Recht hat, zu sagen „ich schaffe es nicht, dass Gesetze eingehalten werden“. Gesetze sind dazu verdammt, Texte auf Papier zu sein, wenn es keine Organisationen und Gremien gibt, die kontrollieren, dass sie eingehalten werden oder bei Nichteinhaltung angemessene Konsequenzen folgen. Eines der Gesetze, die verdammt sind, einzig als Text auf Papier zu existieren, ist Gesetz Nr. 6331 von 2012, welches lautstark angekündigt wurde: „Es wird die Betriebe zurecht rütteln.“ Nachdem das Gesetz verabschiedet wurde, wurden die Betriebe ganz und gar nicht „zurecht gerüttelt“. Im Gegenteil: in 2014 sind in den ersten neun Monaten 1.414 Menschen gestorben. Somit hat sich tragischer Weise bewiesen, dass die Regierung kein System vorgesehen hatte, welches den Schutz von Arbeitern und die Arbeitssicherheit zum Ziel hatte. Wenn die Regierung tatsächlich gegen geldgierige Arbeitgeber ist, dann ist nach diesen tragischen Erfahrungen klar, was zu tun ist: Die Regierung muss sicherstellen, dass Kontrollen zur Arbeitssicherheit und Arbeitsgesundheit bei Eröffnung von Betrieben durchgeführt werden und diese Kontrollen regelmäßig weiter geführt werden. Die Regierung muss den Kontrolleuren und Sicherheitsbeamten Einkommens- und Beschäftigungssicherheit garantieren. Die Regierung muss Gesetze erlassen und Mechanismen installieren, welche sicherstellen, dass die Arbeitssicherheit unabhängig vom konkreten Arbeitgeber und der aktuellen politischen Situation funktioniert. Auch die Erteilung einer Lizenz zur Eröffnung von Betrieben muss unabhängig vom Arbeitgeber und politischer Situation funktionieren. Die Erteilung von Lizenzen müssen an technische Gremien übertragen werden, die sowohl technisch wie auch personell gut ausgestattet ist, deren Beschäftigte gut bezahlte und sichere Arbeitsplätze haben, und ohne Einfluss von Arbeitgebern und Regierung arbeiten können. In den Betrieben müssen Arbeiter in gesicherten Strukturen arbeiten, in denen sie gegen unsichere Arbeitsbedingungen protestieren können, ohne ihre Arbeitsplätze in Gefahr zu bringen. Selbstverständlich müssen Hindernisse, die die Entwicklung von gewerkschaftlichen Strukturen im Wege stehen, behoben werden. Denn Gewerkschaften repräsentieren die effektivsten Mechanismen, die die Kontrolle von Arbeitssicherheit und Arbeitsgesundheit sicherstellen können.

Diese oben kurz skizzierten Maßnahmen, sind durch die Regierung, in den letzten 12 Jahren, in denen sie die Mehrheit des Parlaments war, nicht eingeleitet worden. Oder die Einhaltung der Gesetze hat die Regierung nicht kontrolliert. Sie hat tatenlos zugesehen, dass Gesetze nur Texte auf Papier bleiben.

Daher ist es nur heuchlerisch, wenn die Regierung ihren Anteil und ihre Verantwortung an dieser Katastrophe zu vertuschen versucht, in dem sie die Arbeitgeber als „gierig“ verurteilt. Eine Regierung, die in einem mittelfristigen Programm verkündet, dass ein „wettbewerbsorientierter Arbeitsmarkt das zentrale Ziel“ sei, darf sich nicht über gierige Arbeitgeber beschweren. Denn ein wettbewerbsorientierter Arbeitsmarkt als zentrales Ziel zu formulieren, bedeutet „seid gierig, macht weiter so, ich steh hinter euch“.

Dr. Murat Özveri