Der Staatspräsident Erdoğan hat die Rektoren von fünf Universitäten ernannt. Zu ihnen gehört auch der neue Rektor der Istanbul-Universität (IU), die die älteste und größte Universität der Türkei ist.
Die diesjährigen Rektorwahlen an der IU waren von der Forderung nach einer “Demokratischen Universität” gekennzeichnet. Die Hochschullehrer, Studierende und Beschäftigte an der IU beteiligten sich an den Diskussionen um dieser Forderung. Die Wahlkampfveranstaltungen standen unter diesem Motto. Der Kandidat Prof. Dr. Raşit Tükel erhielt 1202 von rund 2500 abgegebenen Stimmen. Sein Kontrahent Prof Dr. Mahmut Ak erhielt hingegen 908 Stimmen. Die Rangliste der Kandidaten mit den Stimmenergebnissen wurde zunächst vom Hochschulrat (YÖK) geändert. Er setzte in der Liste, die an den Staatspräsidenten Erdoğan verschickt wurde, Mahmut Ak an die erste Stelle. Und der Staatspräsident ernannte nicht Tükel, sonderm Mahmut Ak zum Rektor.
Nicht nur an der IU, sondern auch an der Uludag-Universität zu Bursa wurde von Staatspräsident Erdoğan der Kandidat mit dem zweitbesten Wahlergebnis zum Rektor ernannt. An der Harran-Universität ernannte Erdoğan den Kandidaten Ramazan Taşaltın zum Rektor, der nach Auszählung der Stimmen lediglich auf dem fünften Platz stand. Bei den Ernennungen wurde erneut deutlich, dass Erdoğan keinen Wert auf die Wahl der Angehörigen der Universitäten legt, sondern ihre Loyalität zum Maßstab machte.
Hier fallen einem als erstes die Lobeshymnen und Huldigungen Erdogans an die Wahlurnen ein. Ferner fällt auf, dass Wahlurnen für Erdoğan gerade mal so viel Wert wie Zitronenkisten sind, wenn die Wahlergebnisse ihm nicht passen.
Ob Arbeiter, Kleinbauern, Jugendliche oder Wissenschaftler – Erdoğan liebt alle, solange sie sich ihm fügen und sagen: “Der Gott möge unseren Staatspräsidenten schützen!”
Ob Arbeiter, Werktätige, Jugendliche, Schüler, Studierende oder Wissenschaftler – Erdoğan hasst alle, wenn sie ihre Rechte einfordern, wenn sie für Freiheiten eintreten und für eine Zukunft ohne Kriege und Ausbeutung kämpfen, wenn er in ihnen eine Bedrohung für wirtschaftliche und politische Stabilität erkennt. Dann erkennt er auch ihren Willen an der Wahlurne nicht an.
Prof. Raşit Tükel und seine Unterstützer an der IU gehören zu der zweiten Kategorie. Und Erdoğans Lebensmotto ist: Handle gegen das, wofür sie eintreten.
Es ist bekannt, dass man vom Staatspräsidenten, vom YÖK und von der Regierung keinen einzigen Schritt in Richtung Demokratisierung des Hochschulwesens erwarten darf. Wir müssen aber auch sehen, dass die Hochschullehrer nicht völlig von Schuld freizusprechen sind. Würden die Verlierer der Wahlen ihre Kandidatur zurückziehen, würde dies zur Stärkung des Kampfes einen enormen Beitrag leisten. Dies würde ebenfalls eine große Bedeutung im Hinblick darauf haben, dass die Rektorwahlen nicht für poliltische Zwecke instrumentalisiert werden. Zur Ehrenrettung von Universitäten hätte dies eine wichtige Signalwirkung. Denn die Wahlverlierer übernehmen nicht unbedingt eine ruhmreiche Aufgabe, wenn sie vom Staatspräsidenten an diesen Posten gehievt werden. Dies macht sie eher zu Werkzeugen der poitischen Macht.
Die Universitäten müssen den Kampf aufnehmen, um einen Strich durch diese Rechnung zu ziehen und diese Prüfung zu bestehen. Der Kampf für eine demokratische, autonome, wissenschaftliche Hochschulbildung, für das Recht auf Studium in eigener Muttersprache und für ein gebührenfreies Studium ist Teil des Kampfes um die Demokratisierung der Türkei.
Deshalb ist der Wahlkampf an der IU beispielhaft für alle Universtitäten. Dieser Kampf muss jetzt weiterentwickelt und zum Bestandteil des Kampfes mit dem Ziel gemacht werden, die AKP bei den Parlamentswahlen am 7. Juni zu besiegen.
İhsan Çaralan
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