10347247_10202287243808854_7952832249447317738_nEin schöner Traum, ein Treffen verschiedener Kulturen oder doch mehr Schein als Sein…
Eigentlich ein Traum: alle Welt wurde zum fünffachen Weltmeister zur WM nach Brasilien eingeladen. Der Fußball begegnete traumhaften Stränden, Straßenkickern und auf den Samba Rhythmus mit frischen Cocktails wie Caipirinha. In Brasilien ist der Fußball eigentlich traditionell fest mit dem Traum eines besseren Lebens verankert.

Für uns hier war die Zeit auch voller WM. Überall und ein jeder redete über das Fußballereignis, die einzelnen Mannschaften und über die Taktiken der Deutschen 11 und Löw. Na, gebt es doch zu. Oft stand die Frage im Raum: „Wo das Spiel schauen?“, „Für wen bist du?“ und unser Alltag war von solchen und ähnlichen Fragen geprägt.

Copacabana, Rio, Sonne, Samba und Party – Brasilien wirkte also wie der perfekte Ort für die Fußball-WM, auch für uns hierzulande. Die Proteste vor und während der WM zeigten jedoch, dass solche Großveranstaltungen sich von der Realität, von den Bedürfnissen der Menschen vor Ort weit entfernt haben. Auch, wenn es während des Riesen-Events scheinbar ruhiger geworden ist, bedeutet dies nicht, dass herrschende Probleme im Lande sich davongemacht haben. Dies ist eher darauf zurückzuführen, dass die Mittelschicht sich von den Protesten zurückzogen und vor allem die Polizeihärte stark zugenommen oder aber die Berichterstattung nach Europa nachgelassen hatte.

18Wir hier in Europa bekommen, wie von der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff vergangenes Jahr versprochen wurde, ein Mega-Event präsentiert. Die Brasilianer konnten sich nicht darüber freuen, denn die „copa das copas“ (Massenparty statt Massenproteste) kostete Brasilien mehr als die zwei vergangenen Weltmeisterschaften in Südafrika und Deutschland zusammen. Wobei hier noch die sozialen Folgeschäden mit eingeplant werden müssen, denn vergangenes Jahr hat das brasilianische Volk uns bewiesen, dass auch spektakuläre Proteste möglich sind.

Einblicke zur WM
Politiker und befreundete Bauunternehmer brüsteten sich und inszenierten sich schon vor Beginn der WM als Helden. Woher aber das ganze Geld für dieses Mega-Event herkam, dies wurde zunächst verschwiegen oder einfach behauptet, es käme von privaten Investoren. Diese blieben aber aus und alle Investitionen kamen auf Pump vom brasilianischen Staat zu unschlagbar niedrigen Zinsen. Die Zentralregierung wiederum hatte diese Gelder zu viel höheren Zinsen vom Finanzmarkt eingekauft. All diese Verschuldungen nur für das kurzfristige Ziel der WM. Daher konnten die Kommunen in Brasilien sich auch grenzenlos verschulden. Was aber nach der WM ist, steht noch offen. Wobei nicht ganz, denn keines der teuer neu erbauten Stadien wird nach der WM noch irgendeinen Sinn haben oder eine Verwendung.

Als eines von zwölf Beispielen: Das extra für die WM erbaute Stadium im Amazonas in Manaus kostete rund 300 Millionen Euro und nach der WM wird dieses Stadium mit seinen 170.000 Euro monatlichen Betriebskosten nicht mehr mit über 50.000 Zuschauern gefüllt werden. Die lokalen Vereine konnten bisher im Jahr lediglich maximal 4500 Zuschauer mobilisieren. Die Idee kam schon auf, es nach der WM als Gefängnis zu nutzen, aber eher scheint es, dass das Stadium vor sich hin vegetieren wird.

13„Ein Pädagoge ist mehr wert als Neymar“
Der Protest der Bürger ist daher normal, da die Politiker nicht ihre, sondern die Interessen der FIFA, Baukonzerne und des Kapitals vertreten. So gab es, in den zwei Wochen vor der WM, in 18 Städten Proteste gegen die Weltmeisterschaft, sogar gegen die eigene Nationalmannschaft mit dem Profifußballer Neymar. Bei ihrer Anreise in Rio wurden sie von protestierenden Lehrern empfangen mit den Parolen „Ein Pädagoge ist mehr wert als Neymar“ oder „Wir brauchen Bildung statt Stadien“. Und genau hier liegt der Knotenpunkt des Riesenskandals der WM 2014 in Brasilien. Als Brasilien 2007 als Austragungsort auserkoren wurde, hieß es damals noch von der Regierung, es würden keine öffentlichen Gelder für die WM ausgegeben werden. Nun sieht die Realität ganz anders aus, denn die WM kostete die Steuerzahler in Brasilien bisher etwa 13 Milliarden Dollar und dies sind offizielle Angaben der FIFA. Hier drin sind überwiegend die Kosten für infrastrukturelle Umbauten und die zwölf sanierten oder neuen Stadien enthalten.

Auf Lasten der Werktätigen und Jugendlichen
Die Regierung entzog den öffentlichen Kassen schon einmal rund 8,3 Milliarden Euro, welche jetzt natürlich an anderer Stelle fehlen. Daher auch die Proteste wegen fehlender Investitionen in Ausbildung oder Gesundheit, denn heute muss ein Brasilianer, wenn er nicht gerade gut betucht ist, mehrere Stunden oder gar Tage warten, um überhaupt einen Termin bei einem Arzt zu bekommen. Es fehlen dem Land mehrere Milliarden an Investitionen für die katastrophalen Zustände der Abwasserentsorgung. Aber der Bau und die Modernisierung der WM-Fußballstadien schienen wichtiger. Daher riecht es in mehreren Stadtteilen in Rio förmlich nach Scheiße. Aber nicht in den Reichenvierteln.

Jetzt könnte man meinen, die FIFA wird Brasilien schon vom großen Kuchen was abgeben. Nicht wirklich, denn die Regierung hat den Weltfußballverband von den Steuern komplett für fünf Jahre befreit. Die FIFA konnte also nach Belieben Produkte nach Brasilien importieren, verkaufen und ausländische Arbeitskräfte beschäftigen. Ohne dass sie Steuern zahlen. Die FIFA investiert somit nicht einen Cent in Brasilien, wird aber mehrere Milliarden mindestens vier an Gewinn gemacht haben.

19Verlierer sind somit wieder die brasilianischen Werktätigen und Jugendlichen. Hier zeigte sich das Kapital erneut mit all seiner Manier ganz offen und unterdrückte die Proteste gewaltsam mit seinen Spezialeinheiten.

Zudem wurden die Preise für Grundnahrungsmittel wie Fleisch oder Bohnen erhoben, sowie auch die Mietpreise seit der Bekanntgabe des WM-Ausrichtungsortes 2007. Alles kostet jetzt dank der WM dreimal so viel. Und all dies passierte ohne eine gleichzeitige Anpassung der Gehälter des brasilianischen Volkes. So mussten viele Alteingesessene wegziehen und Platz für die reiche Dekadenz und ihren Hotels machen. Wen verwundern daher die Bilder aus den Reichenvierteln, wo die WM-Partys stattfinden, hier sitzen Kinder in Müllcontainern und warten auf Lebensmittel. Auch nach der WM werden die Brasilianer noch ihre Schulden abbezahlen müssen und sie als die werktätigen Massen werden leiden, während die Nutznießer, wie FIFA und Baukonzerne (Odebrecht, Andrade Gutierrez, OAS und Camargo Correa) ihren Profit mal wieder maximiert haben.

»Não vai ter Copa« = »Es wird keine WM geben«
Um das Projekt WM der FIFA zu realisieren, mussten die Menschen viel einstecken, viele Brasilianer wurden gewaltsam von ihren Wohnungen und Häusern verjagt, so beispielhaft die Urbevölkerung die Cariocas. Oder die Flutopfer der Überschwemmungskatastrophe 2011, hier starben 900 Menschen und die Tausenden Überlebenden verloren ihre Unterkünfte und müssen in sogenannten Behelfsbehausungen leben, da die WM vor ging. Sprich, erst 2015 werden die ersten 250 Häuser für die Flutopfer voraussichtlich fertig sein. Es bedarf aber insgesamt 1600 solcher Häuser und dies genau in der Region wo die brasilianische Nationalmannschaft trainierte. Für deren Platz und Unterkunft wurden aber keine Zeit und Steuergelder verschont.

4Ganz zu schweigen von der brutalen Säuberungspolitik in den touristisch interessanten Favelas des Gouverneurs Sergio Cabral als WM-Vorbereitung. Nicht nur, dass die Menschen ausgeschlossen wurden, sondern seitens der Militärpolizei getötet. Laut offizieller Statistik töteten sie 2007 in ihren Einsätzen 1330 Menschen. 2009 waren es 1049 getötete Favela-Bewohner, diese Zahl soll angeblich 2013 auf 416 zurückgegangen sein. 2014 jedoch soll diese Zahl wieder angestiegen sein.

Klar sollte uns also sein, die Brasilianer, die wir im Fernsehen in den Stadien und auf den vielen Partys gesehen haben, sind die Reichen, die gut betuchten und nicht der Ottonormalbürger in Brasilien, der sich glücklich schätzen kann. Viele Bewohner der Favelas, die sich nähe der Austragungsorte befanden, wurden durch Polizeipräsenz und –gewalt eingeschüchtert, genauso Demonstrationen gegen die WM. Obwohl eigentlich die schwachen Einkommensschichten eher zu den Begeisterten solcher Mega-Events gehörten, wurden diese regelrecht ausgesperrt und in Quarantäne gehalten – und das im eigenen Land. Aber auch wenn nicht, welcher Durchschnittsverdiener in Brasilien hätte sich die extra für die WM angehobenen Eintrittspreise leisten können, früher fünf Reais und heute im Schnitt mindestens 80 Reais (26 Euro).

Die WM war daher nur für Touristen, die Zuschauer an den Bildschirmen und für eine reiche Elite, die eigentliche Bevölkerung blieb ausgesperrt. Ihre Steuergelder für die Belustigung der Reichen. Der skandierte Spruch »Não vai ter Copa«, »Es wird keine WM geben«, stimmte insofern für den Großteil der Bevölkerung.

Suphi Sert