Fast 80 Verhandlungstage hat es bislang im Prozess gegen Mitglieder und Helfer der rechtsterroristischen Bande namens Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) gegeben. Die zwei mutmaßlichen Mörder von acht in Deutschland lebenden türkischen Migranten, von einem Griechen und einer Polizistin – Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos – sollen sich am 4. November 2011 selbst gerichtet haben, nachdem in der Thüringer Stadt Eisenach ein Banküberfall missglückt war. Ihre Kumpanin Beate Zschäpe sitzt mit vier Gesinnungsgenossen in München auf der Anklagebank. Sie schweigt und nur selten verrät eine Geste, dass ihr irgendetwas an die Seele geht.
So war es auch in der vergangenen Woche, als der inzwischen 69-jährige Vater ihres toten Nazi-Freundes Uwe Böhnhardt in den Zeugenstand gerufen wurde. Jürgen Böhnhardt beschrieb, wie er vom Tod der beiden Uwes erfuhr. Am 5. November 2011 hatte Beate Zschäpe sehr früh angerufen. Die Polizei recherchierte, dass das Gespräch 7.58 Minuten gedauert hat, das Zschäpe mit der Mutter Böhnhardt führte: „Es bestand zum großen Teil aus Heulen“, erinnert sich ihr Mann. Doch was die Eltern in den kommenden Tagen und Wochen danach über ihren Sohn erfahren haben, dass er Menschen aus Hass getötet hat, ist vermutlich noch schlimmer gewesen.
Der Zeuge ist nicht redegewandt, aber man merkte, dass er selbst nach Antworten sucht. Böhnhardt will nichts verschweigen, nichts schönreden. Er quält sich in Erinnerungen, versucht herauszufinden, was schief gelaufen ist in seiner Familie. Und er zeigt Mitgefühl mit den ihm fremden Menschen, „die Opfer geworden sind von den beiden Uwes“. Es tue ihm „unendlich leid“, sagte er mit schwacher Stimme. Und auch, dass sich hineinversetzen könne in die Situation der Angehörigen. Schließlich sei auch sein Sohn Uwe erschossen worden, was meint, dass der Vater offenbar nicht an die offizielle Selbstmordvariante glaubt. Die Familie habe zuvor schon einen Sohn verloren, das war kurz vor der Vereinigung der beiden Deutschlands. Da habe man ihm seinen Sohn Peter, damals 16 Jahre alt, auf die Schwelle gelegt. Noch heute sind die Umstände seines Todes ungeklärt.
Wie aber ist sein Sohn Uwe ein Nazi geworden, ein Terrorist, ein Mörder? Seine Frau, die bereits vor Wochen ausgesagt hatte, schob ein Gutteil der Schuld auf die Schule, auf Behörden. Ihr Mann urteilte bedächtiger. Die Probleme mit ihm begannen in der 5. und 6. Klasse, Uwe schwänzte, knackte Autos, wurde immer wieder verurteilt. Später absolvierte der Junge eine Maurerlehre, fand aber nur kurzfristig Arbeit. Die Polizei erschien zu Hausdurchsuchungen, fand waffenähnliche Gegenstände. Sein Sohn musste ins Gefängnis und sei verändert wiedergekommen.
Staunend habe er bei der Polizei Bilder gesehen – sein Sohn auf Neonazi-Demonstrationen, in Uniform, Bomberjacke und Springerstiefeln. „Ich wusste nicht, dass er ein radikaler Neonazi ist. Wir haben nicht geahnt, dass es so schlimm ist…“
Die Eltern Böhnhardt schöpften Hoffnung, als ihr Sohn sich mit Beate Zschäpe anfreundete. Beate sei eine nette, freundliche junge Frau gewesen. Uwe und Beate, waren „ein nettes Pärchen“. Die Eltern hätten nichts dagegen gehabt, wenn sich daraus mehr ergeben hätte. Auch Uwe Mundlos, ein Freund der beiden, sei ein freundlicher, intelligenter junger Mann gewesen. Umso erstaunter waren die alten Böhnhardts, als sie Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und ihren Sohn dann gemeinsam auf solchen Bildern von Neonazi-Demonstrationen gesehen haben.
Böhnhardts Vater beschrieb politische Diskussionen mit seinem Sohn. Die Drei hatten sich in der Gedenkstätte Buchenwald „daneben benommen“. Er habe gefragt, ob Uwe denn nicht wisse, dass zehntausende Menschen in dem damaligen faschistischen Konzentrationslager ermordet wurden und wie viele dort unschuldig gelitten haben, als Hitler an der Macht war?! In der Regel hätten die Drei „ganz schnell abgewiegelt, wenn so etwas zur Sprache kam“. Auch dann, wenn der Vater klar gemacht hat, dass für ihn Gewalt nicht akzeptabel sei. Sein Sohn jedoch fand „ein bisschen Druck“ notwendig. Der Vater schaute in den Verhandlungssaal und beklagte: „Was die gemacht haben, war ja wohl erheblich mehr…“
Nach dem Untertauchen des Trios 1998 haben sich die Eltern Böhnhardt drei Mal mit den Uwes und Beate getroffen, wollten sie zur Aufgabe bewegen. Im Nachhinein klingt das naiv, doch die Eltern konnten ja nicht wissen, dass die Drei inzwischen Morde, Bombenanschläge und Banküberfälle begingen.
Das Gericht hörte in der vergangenen Woche auch einige Gutachter sowie Ermittler der Polizei. Insbesondere ein Mann vom Bundeskriminalamt (BKA) machte eine denkbar schlechte Figur. Er sollte die Nachforschungen im Mordfall Michele Kiesewetter zusammenfassen. Auch die junge Polizistin wurde vermutlich vom NSU erschossen. Das war im April 2007 und damit ist sie vermutlich das letzte Opfer der Nazi-Bande. Ein Kollege überlebte schwer verletzt.
Die Befragung des BKA-Kommissars durch Opferanwälte zeigte erschreckende Defizite bei den Ermittlungen. Man ahnt, warum der Fall Kiesewetter so viele offene Fragen bietet. Auch ein Gutachter, der die Situation am Tatort – es handelt sich um die Theresienwiese in Heilbronn – untersuchte, versetzte die Zuhörer im Oberlandesgericht in Erstaunen. Gerade weil der Professor Schussbahnen und Verletzungen so gründlich und mit modernsten Methoden untersucht hat, fragt man sich, wie es geschehen konnte, dass er bei seinen Rekonstruktionen Böhnhardt mit der rechten Hand schießen ließ. Der Terrorist war Linkshänder.
Rene Heilig
Neues Deutschland
Kommentare von Redaktion