Wir haben mit Vincent Meier und Emre Ögüt über die Studierendenparlamentswahlen an der Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg gesprochen. Vincent Meier, 1. Semester Kommunikationsdesign und Emre Ögüt, 5. Semester Fahrzeugbau, sind beide Mitglieder der Hochschulgruppe „Studium Zukunft“ an der HAW. Die HAW ist mit rund 16 800 Studierenden die drittgrößte Fachhochschule in Deutschland. Sie besteht aus vier Fakultäten, die jeweils an eigenen Standorten beherbergt sind.

Wie entstand die Idee von „Studium Zukunft“?

Emre: Im Rahmen meiner politischen Arbeit bei der DIDF-Jugend habe ich den Kontakt zu verschiedenen, nicht türkeistämmigen Jugendlichen herstellen können, woraus sich die Gründung des Internationalen Jugendverein Hamburg e.V. ergab. Da wir zugleich viele Studierende waren, kam die Idee auf, einen Hochschularm für diesen Verein zu entwickeln. Dadurch war Studium Zukunft geboren. Die Studierendenparlamentswahlen 2016, die kurze Zeit später anstanden, waren für uns direkt Anlass, unsere politische Richtung zu formulieren und uns zu überlegen, wohin es mit uns gehen soll.

Was sind eure Forderungen?

Emre: Unser Ziel ist es, die Studierenden auf Basis ihrer Interessen zu organisieren und diese in ein politisches Ganzes einzubetten. Das wollen wir schaffen, indem wir anhand praktischer Probleme vor Ort aufzeigen, welche politischen und gesellschaftlichen Gründe dahinterstecken und damit den Studierenden durch ihre Beteiligung an Kämpfen den politischen Blick außerhalb der Hochschultore ermöglichen. Denn Fragen wie Frieden, Antirassismus und gute Bildung hängen eng zusammen.

Welche Ziele habt ihr euch bislang gesetzt?

Emre: Zunächst stand der Einzug ins Studierendenparlament (StuPa), der uns aus dem Stand mit den zweitmeisten Stimmen gelang, auf unserer Tagesordnung. Daran sahen wir, dass unsere Kommilitonen unsere Forderungen für richtig halten, weshalb wir entschieden, ein Thema aufzugreifen, was den Studierenden an unserer Hochschule unter den Nägeln brennt: die Prüfungszeit.

An unserer Hochschule werden in den allermeisten Fächern alle Klausuren in zwei Wochen direkt nach den Vorlesungen geschrieben. Bei realistischen acht Klausuren pro Semester liegen oft zwei Klausuren am selben Tag und Ersatztermine gibt es auch nicht; wer durchfällt oder die Klausur „schiebt“, muss ein ganzes Semester warten. Eine Idee zur Verbesserung dieser Situation ist die Einführung einer zweiten Prüfungsphase am Ende der Semesterferien, sodass bei Krankheit, Stress oder Verpflichtungen die Klausur ein bis zwei Monate später geschrieben werden kann.

Deshalb haben wir eine Initiative gestartet, die diese Forderung aufgreift und wo jeder Studierende, der diese Forderung unterstützt, mitmachen kann – unabhängig davon, ob sich die Person überhaupt organisieren möchte. Gerade das hat uns viel Zulauf erbracht.

Vincent, wie kamst du zu Studium Zukunft?

Vincent: An der HAW bin ich recht schnell aktiv geworden. Seit etwa März 2017 bin ich Referent für Antifaschismus im Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA). Bis dahin war mir auch schon Studium Zukunft durch ihre Wahlplakate aufgefallen, jedoch konnte ich mir erst im Rahmen meines Engagements im AStA die verschiedenen Listen genauer ansehen, da ich dann ich auch an Sitzungen des StuPa teilnahm. Mir gefiel die Haltung von Studium Zukunft, denn es gibt wenige Listen, die besonders die Interessen derjenigen vertreten, die nicht aus reichem Elternhause kommen und deshalb neben dem Studium noch arbeiten müssen. Die Forderungen von Studium Zukunft sind entsprechend nah an der Realität der Studierenden, was mich vor einigen Monaten auch dazu bewegt hat, vor der StuPa-Wahl 2017 der Liste beizutreten.

An der Gruppe ist mir einerseits die Motivation der Leute positiv aufgefallen und andererseits, dass die Mitglieder sehr unterschiedliche Hintergründe aufweisen; sowohl von den Studiengängen her, die von technischen über kreativen bis zu sozialen Studiengängen reichen, als auch von der Herkunft her. Die Liste schafft es, so verschiedene Leute auf der Basis ihrer gemeinsamen Interessen zusammen zu bringen. Und diese Interessen bestimmen die Politik von Studium Zukunft – es geht nicht darum, sich Positionen wie Referate im AStA zu sichern und seinen Lebenslauf zu schmücken, sondern um die Studierenden zu organisieren.

Was sind deine Ziele bei Studium Zukunft?

Vincent: Vorne mit dabei ist die Politisierung der Leute an meinem Campus. Ich möchte meinen Kommilitonen das Bewusstsein vermitteln, dass das Dasein als Studierender eine politische Situation ist und dass ein freies, selbstbestimmtes Studium unter den Zwängen der Marktwirtschaft nicht existieren kann. Deshalb sollen sie sich dort organisieren, wo sie sind, um die Probleme, die vor Ort existieren, aufzugreifen. Dafür möchte ich zugleich mit Studium Zukunft eine Organisationsmöglichkeit aufzeigen.

Darüber hinaus möchte ich, dass die Studierenden verstehen, dass Gremien wie StuPa, AStA und Fachschaftsräte unsere erkämpften Gremien sind und wir diese für Mitbestimmung an der Hochschule zu nutzen lernen. Denn die geringe Wahlbeteiligung an den StuPa-Wahlen zeigt mir, dass viele unserer Kommilitonen noch nicht verstanden haben, warum eine starke Interessenvertretung wichtig ist.

Emre: Dabei betrachten wir diese Gremien wie dem AStA nicht als Selbstzweck, sondern möchten sie dafür nutzen, die Organisiertheit und politische Bewusstheit der Studierenden zu steigern, weil das unsere einzige Garantie dafür ist, Veränderungen herbeiführen zu können.

Wie geht ihr dabei auf die Studierenden zu?

Vincent: Bei der Wahl war es uns wichtig, Forderungen aufzustellen, mit denen sich die Studierenden identifizieren können. Ein Beispiel dafür ist unsere konkrete Forderung nach einer zweiten Prüfungsphase anstelle von Floskeln wie „Für einen belebten Campus“. Dadurch, dass wir unsere gesamte Liste mit Fotos in unseren Medien dargestellt haben, kamen einige Studierende im Wahlkampf sogar auf mich zu. Gesicht zu zeigen und ständig die Aufforderung mitzutragen, sich für die Forderungen bei uns zu organisieren, statt einfach nur Wahlversprechen abzugeben, halte ich für einen weiteren Schlüssel unseres Erfolges.

Wie gedenkt ihr, eure Arbeit auszuweiten?

Vincent: Wenn wir die Kampagne für eine zweite Prüfungsphase dann bald erfolgreich abgeschlossen haben, könnten wir schauen, ob wir uns nicht an etwas größeren Themen versuchen, wie z.B. dem Mangel an günstigem Wohnraum oder der schlechten BAföG-Förderung. Dafür wünsche ich mir auch eine Zusammenarbeit mit anderen studentischen Gruppen auf Basis gemeinsamer Forderungen.

Welchen Ratschlag wollt ihr unseren Lesern mitgeben?

Vincent: Wir sollten niemals vergessen, dass wir von heute auf morgen nicht alles auf den Kopf stellen können. Deshalb ist es gut, mit kleinen Forderungen anzufangen und an den Erfolgen zu wachsen, ohne dabei das größere Ziel aus den Augen zu verlieren. Aller Anfang ist schwer, doch unser Beispiel zeigt, dass man auch mit wenig Leuten starten kann, auch ohne ein perfekt ausgearbeitetes Konzept zu haben. Es ist nie zu spät für etwas Neues.