Die Milchmädchenrechnung der AKP scheint in Ansätzen aufzugehen. Während es in der Türkei um ein „Ja“ oder „Nein“ zu einer Verfassungsänderung geht und das Land in zwei Lager gespalten ist, versuchen die Ja-Sager alles Erdenkliche, um das NEIN-Lager zu schwächen und die Unentschlossenen für sich zu gewinnen. Nichts anderes dürfte das Manöver sein, Minister nach Europa zu schicken, mit der Hoffnung, dass diese keine Erlaubnis für Wahlreden halten dürfen, um später den eigenen und nationalistischen Wählern zu erklären: „Seht ihr, Europa möchte keine starke Türkei. Also springt auf unseren Zug auf!“. Es scheint so, dass die europäischen bzw. deutschen Auslandsstimmen das Zünglein an der Waage sind. Deswegen muss man die Pro-AKP-Demos in Holland oder Deutschland als politisches Kalkül und Stimmungsmache bewerten. Aber leider diskutiert Europa am Kern der Sache vorbei und reduziert die Inhalte auf lediglich die Erlaubnis, ob AKP-Vertreter in Europa Wahlkampfreden halten dürfen oder nicht, statt die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit in Frage zu stellen.

Lasst uns aber klarstellen: Es geht nicht um Wahlkampfreden oder diplomatische Feinfühligkeiten! Man muss der AKP einen Spiegel vorhalten und zeigen, dass Demokratie keine Einbahnstrasse ist und nur dann gefordert wird, wenn man sich selber benachteiligt fühlt. Demokratie ist immer die Freiheit des Andersdenkenden! Schon die kleinste Kritik an Erdogan wird in der Türkei mit juristischen und polizeilichen Methoden im Keime erstickt. Das muss man der AKP klipp und klar verdeutlichen. Aber: Europa muss sich in einem Punkt endgültig entscheiden: Will man Erdogan durch Waffenverkäufe, Polizeiausbildung und finanzielle und politische Unterstützung und durch Schweigen zu seinen Angriffen auf Demokratie und Pressefreiheit in der Türkei stärken? Wenn nein, warum handelt man dann nicht aufrichtig und konsequent?
Auftritte der türkischen Minister oder von Erdogan müssen nicht befürwortet werden, aber auch vorgeschobene Absagen wegen Sicherheitsbedenken lösen das Problem nicht! Europa und allen voran Deutschland muss endlich Farbe bekennen und politische Konsequenzen ziehen, statt der Faschisierung der Türkei tatenlos, sogar unterstützend und billigend zuzusehen!

Selbstverständlich darf kein Land sich in innere Angelegenheiten eines fremden Landes einmischen. Eine lebende und lebendige Demokratie wird nicht daran scheitern, dass fremde Minister Wahlkampf auf europäischem Boden machen, aber sie wird daran scheitern, wenn taten- und kommentarlos zugesehen wird, wie durch diese Minister Werbung für die Todesstrafe betrieben wird und Spaltung und Hass nach Deutschland importiert werden. Verbote von AKP-Wahlkämpfen treiben die türkischen Staatsbürger in Deutschland in die Arme der AKP-Diktatur, die sich als Opfer darstellt. Europa muss den türkischen Staatsbürgern hier zeigen, dass sie trotz ihrer emotionalen Nähe zur Türkei aktiv an dieser demokratischen Gesellschaft teilhaben können! Europa muss sich klar zu einem Nein bekennen und den türkischen Staatsbürgern zeigen, dass es nicht gegen sie geht, sondern um universelle Menschenrechte – in Europa und in der Türkei!