Seit geraumer Zeit stellt sich die Frage,andreas wie in kürzester Zeit eine relativ neue Partei soviel Zuspruch in Deutschland erlangen konnte. Wir suchten das Gespräch mit dem Soziologen Andreas Kemper. Er beobachtet die Entwicklung der sogenannten „Alternative für Deutschland“ und zieht eine eindeutige Bilanz.

Woher kommt die AfD und wie konnte diese Partei so stark werden?
Sie hat sich 2013 gegründet, als es viele Diskussionen über Griechenland gab. Merkel hatte eine Griechenlandpolitik gemacht, die einerseits die Vergabe von Krediten wahrgenommen hat und andererseits wurde der Sozialstaat in Griechenland komplett zerstört. Zu dieser Zeit wollte die AfD radikaler vorgehen und verlangte den Austritt von Griechenland aus der EU. So entfachten sie die Diskussionen über die „faulen Griechen“, wobei viele rechte Gruppierungen und Personen der AfD beitraten und sie deshalb schnell wachsen konnte.

Also zu Beginn nutzten Rechte die soziale Frage Griechenlands und die Eurokrise aus
Die AfD war von Anfang an sehr neoliberal eingestellt. Es gab neoliberale Wirtschaftsprofessoren in der Partei, die die Forderung der Steuerkürzung für Reiche stellten. So sollte z.B. die Politik mehr Einschränkungen gegen die Armen und die Rechte der Arbeitnehmer beschließen. Diese sozialfeindliche Position ist in der Partei zwar immer noch vorhanden, aber es sind verschiedene Gruppen hinzugekommen. Dazu gehören Gruppen, die rassistisch auftreten und sich auch innerhalb der Partei durchsetzen konnten. Jedoch gibt es noch das neoliberale, christlich-fundamentalistische und rassistisch-konservative Programm in der AfD. Somit ist die AfD die Partei der Ungleichheit. Denn sie wollen auf allen Ebenen die Ungleichheit und dabei streiten sie sich darüber, welcher der oben genannten Punkte mehr im Fokus stehen sollte.


Welche Wählergruppe spricht die AfD vorrangig an?
Man kann sagen: Alle Wählergruppen werden von dieser Partei angesprochen. Vor allem sind es männliche Wähler. In der Partei selbst sind mehr Männer als Frauen vertreten. Gegründet wurde die AfD von mehrheitlich privilegierten und wohlhabenden Männern. Gewählt wird die Partei aber auch von vielen Arbeitslosen, obwohl sie eine Politik gegen Arbeitslose macht und nicht gegen die Arbeitslosigkeit.

Der Islam wird bei der AfD als oberstes Gesprächsthema eingestuft. Wie sehr wird dieses Thema instrumentalisiert?
Dieses Thema war von Anfang an dabei, denn die AfD`ler waren schon immer gegen den Islam. Sie beziehen sich u.a. auf Thilo Sarrazin, der 2010 den Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ geschrieben hat. Aktuell hat dieser wieder ein neues Buch veröffentlicht, welches ebenfalls antiislamisch ist. Sarrazin ist nicht nur gegen den Islam oder arabisch- und türkischstämmige Migranten, die teilweise seit Generationen in Deutschland leben, sondern auch gegen die deutschen Unterschichten. Im Ganzen denken die AfD-Mitglieder sehr rassistisch. Es gäbe bestimmte Volkskulturen, die kulturell/genetisch bedingt dümmer seien. Aus diesem Grund müssten diese weniger Kinder kriegen dürfen, um sich nicht zu „verbreiten“ etc.

Mit welcher Strategie sollte man gegen diese Art von Rassismus kämpfen?
Die AfD greift ganz viele Gruppen an. Sie greift den Islam an. Sie greift Flüchtlinge an. Sie greift aber auch Feministen oder ärmere Bürger an und wir müssen zusehen, dass wir eine Solidarität herstellen. Die Gruppen sollten nicht allein für sich kämpfen und sich im schlimmsten Fall mit der AfD verbünden, sondern ist es wichtig, dass sich die Gruppen zusammenschließen, damit mehr gesellschaftliche Emanzipation entsteht. Es geht um die Freiheit. Die AfD will Korrektion. Sie wollen die Menschen auf ihre Art korrigieren und wollen ihre Privilegien gegen sozialschwächere und benachteiligten Bürger durchsetzen. Die AfD ist ein Symptom und ein allgemein europäischer Trend. Mittlerweile gibt es in jedem europäischen Land eine Partei wie die AfD, nur heißen sie anders, sind mehr oder weniger radikaler oder gemäßigter. Da wären z.B. die Front National in Frankreich oder die FPÖ in Österreich zu nennen. Deswegen müssen wir auch auf europäischer Ebene  zusammenarbeiten.

Ist dieser europäische Rechtsruck nur vorläufig oder ist es möglich, dass rechtsgesinnte Parteien nachhaltige Erfolge in Europa erzielen?
Ich denke nicht, dass es kurzfristig ist. Es hat auch viel mit der Wirtschaftskrise zu tun, da rechte Parteien dadurch stärker wurden und werden. Genau diese privilegierten Gruppen, die in Parteien wie der AfD sind, haben Angst, dass sie teilen müssen. Anstatt sich aber gegen die Superreichen und großen Konzerne zu stellen, treten sie nach unten. Das findet zurzeit in allen Ländern statt.

Manche behaupten, dass die soziale Frage Priorität hat, während es für andere eine geringere Bedeutung hat. Wie schätzen Sie diesen Aspekt aus soziologischer Sicht ein?
Man muss gemeinsam vorgehen, denn die soziale Frage ist wichtig und betrifft uns alle. Es gab auch schon vor der Wirtschaftskrise einen Antiislamismus und Rassismus, aber durch die Krise wurde dieser Hass verstärkt. Wir müssen hinterfragen, woher der Antiislamismus und auch die Frauenfeindlichkeit herkommt.

Und wie wichtig ist der Antirassismus bei den Jugendlichen in diesen Zeiten?
Die AfD hat gerade bei jüngeren Menschen viele Wählerstimmen erhalten. Die Schere zwischen arm und reich wächst in Deutschland und wenn ein junger Mensch mit einem Hauptschulabschluss direkt in die Arbeitslosigkeit rutscht, denkt er sich, dass er gegen die Reichen nichts unternehmen kann. Sie leiden unter Perspektivlosigkeit. Dann fangen junge Menschen an, die Ellenbogen auszufahren gegen den Islam oder die Flüchtlinge und finden Zuspruch. Das ist die Gefahr.

Was könnten die Migranten in diesem Land zu der Umkehr dieses Prozesses beitragen?
Sich solidarisieren. Es gibt auch etablierte Migranten aus meist zweiter Generation, die die AfD wählen. Bei Migranten gibt es auch Hierarchien. Die grenzen sich von Flüchtlingen ab und wollen sie nicht in Deutschland aufnehmen. Deshalb ist hier die Solidarisierung sehr wichtig. Man sollte sich politisch damit auseinander setzen und offen sein. Nämlich für die Emanzipation, die Gleichverteilung der Einkommen und die Freiheit der Menschen.