Wie wäre es eigentlich, wenn vor Jahrzehnten nicht Deutschland die Gastarbeiter gebraucht hätte, sondern die Türkei? Mit ihrem Stück „Istanbul“ verschieben Selen Kara und Torsten Kindermann das Wirtschaftswunder der 60er Jahre an den Bosporus. Das Theaterstück mit Liederabend spielt in den Kammerspielen des Bochumer Schauspielhauses und beschäftigt sich mit dem Thema Heimat, Miteinander, Verständnis und Vielfalt.

Viele Türkeistämmige kennen die Geschichten ihrer Eltern und Großeltern über die Schwierigkeiten und Verständigungsprobleme die sie hatten als sie nach Deutschland kamen. Über die Sehnsucht, die sie zu ihrer Familie und ihrer Heimat hatten. Sie kennen aber auch die Liebe zur neuen Heimat, die neuen Freundschaften und die Entscheidung hier zu bleiben.Mit ihrem Stück ist es Kara und Kindermann gelungen, genau das aus der Sicht deutscher Gastarbeiter darzustellen.

Das Stück „Istanbul“ stellt alles auf den Kopf und erzählt über den Gastarbeiter Klaus, der aus Bochum nach Istanbul reist, um dort Geld zu verdienen und dann zurück in seine Heimat zu kehren. Der VfL, Currywurst, seine Frau und vor allem deutscher Kaffee fehlen Klaus in Istanbul. Aber es kommt alles anders als geplant und Klaus holt seine Frau Luise und die Kinder nach Istanbul. Istanbul wird zu ihrer neuen Heimat. Die Kinder sprechen mittlerweile besser türkisch als deutsch. Doch Bochum ist auch ihre Heimat, oder? Schließlich baut er dort ein Haus, auch wenn er niemals zurückkehren wird. „Istanbul“ ermöglicht einen Perspektivwechsel und hilft sich in die Lage der Gastarbeiter einzufühlen.

Auch musikalisch überzeugt das Stück. Es werden Sezen Aksu Songs auf Türkisch von deutschen Schauspielern gesungen. Auf Leinwänden werden die Songtexte auf deutscher und türkischer Sprache projiziert. Die vierköpfige Band versteht es, das Publikum mitzureißen. Die Gäste singen und klatschen mit. Es ist kein Theaterstück, wie man es sonst kennt. Die Vielfalt erkennt man auch im Publikum wieder.

Dass es kein gewöhnliches Stück ist, fällt bereits beim Betreten des Saals auf.Die ersten Sitzreihen wurden entfernt und an ihrer Stelle stehen Tische und Bänke.Auch auf der Bühne gibt es Sitzmöglichkeiten. Während des gesamten Stücks werden die Zuschauer miteingebunden.Es werden Cay (türkischer Tee), Simit (Sesamringe) und weitere Leckereien durch die Reihen gereicht und Halay getanzt. Es ist ein herzerwärmendes Miteinander mit vielen Gänsehaut- und Aha- Momenten.

Ein Besuch der Kammerspiele lohnt sich allemal. Das Stück kann man sich noch bis Ende des Jahres in Bochum ansehen.