„Studierende haben immer Ferien!“, das ist ein Klischee, das sehr weit verbreitet ist. Ein Klischee, was hier und da sicherlich noch durch Einzelfälle erfüllt wird, aber schon lange nicht mehr auf alle Studierende zutrifft. Denn neben den Lehrveranstaltungen, die im Semester liegen, finden die Prüfungen außerhalb des Semesters, also während der Semesterferien statt.

Vielen Studierenden graut es beim bloßen Gedanken an die Prüfungsphase. Und das nicht ohne Grund, denn die Durchfallquoten in jedem Studiengang sind hoch. Als Beispiel: 94% Durchfallquote an der Uni Saarbrücken in Mathematik, 67% Durchfallquote an der Uni Düsseldorf im Fach Politik oder 80% an der RWTH Aachen in Maschinenbau. Und obwohl das Durchfallen nicht so dramatisch erscheint, wissen viele nicht, dass bei drei nicht bestandenen Klausuren im selben Fach man zwangsexmatrikuliert wird. Und bei so einer Zwangsexmatrikulation folgt nicht nur der Ausschluss aus der eigenen Universität, sondern man darf das Fach an keiner deutschen Hochschule mehr studieren. Da wird Druck bei den Studierenden aufgebaut und zwar gewaltig, denn die Angst, zu versagen ist groß.

Wer bestehen will, der muss viel lernen. Deshalb suchen viele Studierende die Universitätsbibliotheken auf, um sich dort in Ruhe für die anstehende Prüfung vorzubereiten. Durchschnittlich haben die Bibliotheken bis Mitternacht auf, denn die meisten Studierenden lernen über mehrere Stunden und oftmals zu Hause auch weiter. Bis in die frühen Morgenstunden am Schreibtisch zu sitzen ist Alltag. Das ist kein Geheimnis und aus diesem Grund gibt es in so gut wie jeder Universitätsbibliothek „Nächte des langen Lernens“, in denen die Räume fast 24 Stunden geöffnet haben. In der heißesten Phase des Lernens hatte beispielsweise die Universität zu Köln vom 22. – 25. Januar täglich bis 5 Uhr morgens geöffnet. Zudem gab es bis 4 Uhr morgens Kaffeeverkauf und zwischen 21 und 22 Uhr ein freiwilliges Sportprogramm, um müde Gemüter wieder fit zu machen.

Die Sache mit der Regelstudienzeit

Wieso muss ein Studierender denn alle Prüfungen sofort ablegen? Man kann doch solange studieren, wie man will oder? Theoretisch ja, praktisch nein. Ein Studium sollte den Horizont erweitern, neue Errungenschaften in der Wissenschaft ermöglichen und diese weiterbringen. Der Gegenbegriff dazu ist Regelstudienzeit. Im Bachelor-Master-System ist der Einhalt der Regelstudienzeit (RSZ) maßgeblich für den Erfolg eines jeden Studierenden. Liegt man über der RSZ, dann hat man schon verloren. Der Lebenslauf scheint sich ins Unermessliche zu ziehen und zukünftige Chefs kehren schon den Rücken, bevor man sich ihnen vorstellen kann. So kommt es einem zumindest vor. Es ist vor allem das schlechte Gewissen selbst, das sich über die RSZ Gedanken macht.

Und auch wenn die freie Marktwirtschaft alles daran setzt frühzeitig neue Arbeitskräfte zu beschäftigen, Butter bei die Fische, kein Arbeitgeber stellt eine 23-jährige Person ein, sei sie noch so kompetent. Diese muss sich dann erst einmal von einem Praktikum zum nächsten durchkämpfen, um eventuell mit Ende Zwanzig – Anfang Dreißig eine Festanstellung zu bekommen.

Ist das noch normal? Wozu der Stress?

In einer vergangenen Ausgabe berichtete Neues Leben bereits von der Hochschulgruppe „Studium Zukunft“ in Hamburg, die sich für eine zweite Prüfungsphase einsetzt. Hier müssen die Studierenden an der Technischen Hochschule innerhalb einer Woche alle ihre Klausuren schreiben. Entsprechend groß ist der Unmut und die Verzweiflung bei den Studierenden. Der Erfolg von Studium Zukunft zeigt, wie viele tatsächlich davon betroffen sind und darunter leiden.

Deutsche Hochschulen sind weit von einer wissenschaftlichen Akademie entfernt. Stattdessen wetteifern die Studierenden in Maximalgeschwindigkeit um nicht zu einer Durchfallquote zu gehören und – Gott bewahre – nicht das Studium zu verlängern. Die einzige Ambition hinter einem Studium scheint der Abschluss mit direkter Beförderung in ein wohlhabendes oder zumindest sorgenfreies Leben zu sein. „Selbststudium“ ist ein Fremdbegriff geworden. Kritisch wird schon lange nicht mehr hinterfragt – diskutiert erst recht nicht! Ist Schluss mit der Erweiterung des Horizontes und der Wissenschaft?

Abbrecherquote so hoch wie noch nie

Unzählige Studierende sind unzufrieden mit ihrer Situation. Folglich brechen auch immer mehr Studierende ihr Studium frühzeitig ab. Die 2017 veröffentlichte Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) berichtet von einer Abbrecherquote von 29%. Das ist fast jeder dritte Studierende. Bei Studierenden mit Migrationshintergrund liegt die Zahl deutlich höher, nämlich bei 43%. Wieder einmal wird deutlich, dass die Bewältigung eines Studiums für Menschen aus Familien mit Migrationshintergrund eine große Herausforderung darstellt.

Erstakademiker aus diesen Familien sind sogar doppelt benachteiligt. Nicht nur wegen ihres Migrationshintergrundes, sondern auch wegen ihrer sozialen Herkunft. Vielen Familien fehlt es an einem vernünftigen Zugang zu Bildung und Weiterbildung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass ein Drittel der Studienabbrecher angab, dass „unerfüllbare Leistungsanforderungen“ der Grund für ihren Abbruch waren.