zeitungenAm Freitag, den 7. Juni erschienen in der Türkei sieben Tageszeitungen mit derselben Schlagzeile: „Für demokratische Forderungen würden wir unser Leben opfern.“ Dieser Satz war ein Zitat aus der Rede von Ministerpräsident Erdoğan, die von vielen Sendern live übertragen wurde. Damit meinte er, dass es den Demonstranten nicht um demokratische Forderungen gehe. Vielmehr würden sie mit Vandalismus und Terrorismus versuchen, die Regierung umzustürzen. Dieser Meinung schlossen sich die Redaktionen dieser sieben Zeitungen an und zeigten, dass die Entscheidung über die Berichterstattung in einem Teil der Medien nicht in den Reaktionszentralen, sondern Regierungsetagen getroffen wird.

Dieses Beispiel ist kein Einzelfall. Nach Ausbruch der Proteste hatten die Zeitungen und TV-Sender die Proteste und die brutale Polizeigewalt zunächst fast gänzlich verschwiegen. Am dritten Tag wiederholte der Privatsender CNN Türk eine einstündige Dokumentation über Pinguine, während den Proteste nur wenige Minuten Sendezeit gegeben wurde. Zur gleichen Zeit strahlte Haber Türk ein Interview mit dem Regierungschef, der die Demonstranten als „Plünderer“ beschimpfte. Die Berichterstattung in anderen Privatsendern unterschied sich nicht von denen im staatlichen Sender TRT oder anderen Sendern, die offen als Sprachrohr der AKP-Regierung fungieren.

Proteste richten sich auch gegen die Zensur

Aus Protest gegen diese Zensur zogen die Demonstranten in Istanbul am dritten Tag ihrer Aktionen vor die Zentralen von zwei Sendern. Landesweit bezeichneten sie auf Kundgebungen die Medien als „Arschkriecher von Erdoğan“. Mit ihrem Protest erzielten sie auch Teilerfolge. NTV und andere Sender sahen sich gezwungen, die Vertreter der Bewegung zu Wort kommen zu lassen.

Die Protestbewegung hat also nicht nur die Regierung erschüttert, sondern auch die vermeintlich unabhängigen Medien demaskiert. Und sie hat für einen großen Zulauf bei oppositionellen Medien wie dem Sender Hayat TV gesorgt, der bis vor einer Woche eine kleine Zuschauergruppe erreicht hatte, heute aber als eine der Hauptinformationsquellen seit knapp 200 Stunden ununterbrochen eine Sondersendung ausstrahlt. Während der Live-Übertragung der Erdoğan-Rede auf fast sämtlichen Kanälen konnten die Zuschauer von Hayat TV die Dokumentation über Pinguine ansehen, die sie wegen ihrer Teilnahme an den Aktionen verpasst hatten.

Kapital und Medien eng miteinander verflochten

Die türkischen Medien sind seit 25 Jahren fest in der Hand von Großkonzernen, die auf die Regierung als ihr wichtigster Auftraggeber angewiesen sind. Um rentable Großaufträge nicht zu verlieren, verbieten sie ihren Medien eine regierungskritische Berichterstattung. In der Regierungszeit von AKP wurde diese Abhängigkeit verstärkt. Beispielhaft sei hier die Dogus-Gruppe mit einem Jahresumsatz von 12 Mrd. US-Dollar erwähnt. Nachdem sie letztes Jahr den Nachrichtensender NTV übernommen hatte, setzte sie mehrere regierungskritische Sendungen ab und entließ deren Moderatoren. Sie wurde dazu von Erdoğan genötigt, der dem Konzernchef öffentlich mit dem Entzug von Aufträgen gedroht hatte.

Die Rolle von Twitter&Co.

Die Zensur konnten die Demonstranten mithilfe von social media umgehen. Die erste Demonstration wurde auf Twitter organisiert. Die User informieren sich gegenseitig über bevorstehende Aktionen, laufende Polizeieinsätze, Festnahmen etc. auf Twitter und Facebook. Hier macht sich bemerkbar, dass über zwei Drittel der Demonstranten junge Menschen sind, die sich in der Welt von Internet zuhause fühlen. Am fünften Tag der Bewegung erreichte die Zahl von entsprechenden Tweets die Marke von 1,2 Millionen.

Aus diesem Grund erklärte Erdoğan die social media zur „größten Plage“. In Izmir wurden 35 Personen mit der Begründung festgenommen, sie hätten mit ihren Tweets einen Aufstand angezettelt. Um den Informationsfluss zu behindern, wurde in mehreren Städten das Netz gedrosselt. Seit Beginn der Proteste werden auf zentralen Plätzen stundenweise Jammer eingesetzt, mit denen die mobile Kommunikation gestört wird.