Gestern traf der Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan in der AKP-Zentrtale eine elfköpfige Delegation, deren Mitglieder er selbst ausgewählt hatte. Dem Gespräch, das rund fünf Stunden dauerte, waren Vertreter des Taksim-Solidarität mit Hinweis auf die anhaltende Polizeigewalt und auf die Ablehnung ihrer Forderungen durch die Regierung ferngeblieben. Der AKP-Sprecher Hüseyin Çelik erklärte, die Regierung werde den geplanten Bau einer Kaserne auf dem Gelände des Gezi-Parks zum Thema eines Referendums machen.
Auf der Regierungsseite nahmen neben Erdoğan und Çelik die Innen-, Kultur- und Umweltminister an dem Gespräch teil. Zu den ausgewählten Delegationsmitgliedern gehörten Künstler, Hochschullehrer, Publizisten und Einzelpersonen. Darunter ein AKP-Mitglied und die Stundentin Nil Eyüpoglu, die Tochter eines Abrissunternehmers, der den Auftrag zum Abriss des Atatürk-Kulturzentrums am Taksim-Platz erhalten hatte. Eine der Forderungen des Bündnisses ist der Stopp eben dieser Abrissarbeiten.
Referendum angekündigt
Çelik erklärte nach dem Gespräch, die Regierung sei bemüht, eine beide Seiten zufriedenstellende Lösung zu finden. Die Teilnehmer seien nicht politisierte Unterstützer der Protestbewegung und deren Forderungen. Bei dem Informationsaustausch hätten sie die Möglichkeit erhalten, ungehindert ihre Meinung zu äußern. Das entspreche der Politik der Regierung, die alle Entscheidungen gemeinsam mit der Bevölkerung treffe. Er kündigte auch Ermittlungsverfahren gegen und gegebenenfalls die Verurteilung von Polizisten, die unverhältnismäßige Gewalt angewendet hätten.
Die Regierung werde ein Referendum durchführen, bei dem die Bewohner von Istanbul entscheiden könnten, ob die Kaserne im Gezi-Park gebaut werde. Der Volkswille entscheide wie bei allen Demokratien auch in der Türkei über die Regierungspolitik. Çelik fügte hinzu, seine Regierung werde nicht zulassen, dass die Demonstranten den Gezi-Park bis zum „jüngsten Tag“ besetzt hielten.
„Nach Referendum wurden wir nicht befragt“
Die Hochschullehrerin Ipek Akpinar beantwortete nach dem Treffen die Fragen der Journalisten. Akpinar erklärte, niemand habe die Delegationsmitglieder nach ihre Meinung zum Referendum gefragt. „Wir haben den Regierungsvertretern deutlich gemacht, dass wir Einzelpersonen und verantwortungsbewusste Bürger dieses Landes ohne Vertretungsanspruch und Entscheidungskompetenzen sind. Viele von uns haben sich heute hier kennen gelernt. Nach diesem Gespräch sehen wir unsere Aufgabe auch als erfüllt“, so Akpinar.
Sie hätten als Menschen, die an den Dialogprozess als einzigen Lösungsweg glaubten, an dem Gespräch teilgenommen. Akpinar sagte: „Wir haben heute Dialogbereitschaft bei der Regierung erkannt und die Forderung unterstrichen, dass der Gezi-Platz erhalten bleiben und die Gewalt beendet werden muss.“
Gerichtshof: „Geplante Lösung verstößt gegen geltendes Recht“
Der Präsident des Obersten Verwaltungsgerichts Hüseyin Karakullukçu erklärte heute Vormittag, das geplante Referendum sehe er als eine Art Volksbefragung an, die dazu dienen soll, die Bevölkerung in die Entscheidungen einzubeziehen. Er wieß auf die einstweilige Verfügung eines Istanbuler Gerichts hin, die einen Stopp der Bauarbeiten im Gezi-Park vorsieht. Es seien weitere Verfahren zu diesem Thema anhängig. „Sollten die Gerichte das Vorhaben aufgrund von Verstößen gegen Umweltschutz- und Stadtplanungsgesetze endgültig stoppen, würden diese Urteile das Ergebnis eines Referendums bzw. der Volksbefragung unwirksam machen. In einem Rechtsstaat haben Gerichtsurteile Vorrang vor anderen Entscheidungen.“
Erdoğan stellt den Demonstranten ein Ultimatum
Vor dem gestrigen Gespräch war bekannt geworden, dass der Regierungschef seinen Innenminister angewiesen hatte, den Gezi-Park binnen 24 räumen zu lassen. Das hatte der Präsident der Türkischen Handler- und Handwerkerkammer (TESK), Bendevi Palandöken nach einem Gespräch mit Erdoğan mitgeteilt. Er erklärte: “Der Ministerpräsident hat uns zugesichert, dass die Regierung für die bei Demonstrationen entstandenen Schäden in Höhe von 100 Mio. Lira Entschädigungszahlungen leisten wird. Uns hat er gesagt, dass die Proteste binnen 24 Stunden zu Ende geführt und die Demonstranten nicht zu Schaden kommen würden”.
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