Am internationalentürkiye_presse Tag der Pressefreiheit wurde ich mit Sevgi Akarçeşme, Frederike Geerdink und Sezin Öney von der Europäischen Journalistenföderation nach Brüssel eingeladen, um dort aus Frauensicht über die Medienfreiheit in der Türkei zu referieren. In einer Arbeitsgruppe, in der man sich über die Situation in anderen europäischen Ländern austauschen wollte, landete man immer wieder in der Türkei.

Ich berichtete über die “Lotterie”, mit der die Journalisten in der Türkei konfrontiert sind. Ich berichtete z.B. von der Verurteilung von Can Dündar und Erdem Gül zu 5 Jahren und 10 Monaten bzw. 5 Jahren Haftstrafe, obwohl die zur Verurteilung zugrunde gelegte Straftat “Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen” weder durch die Verfassung, noch durch andere Gesetze definiert ist. Ich berichtete auch davon, dass Journalisten sich gegen Beleidigungen und Bedrohungen rechtlich nicht zur Wehr setzen können, weil die Gerichte solche Lynchkampagnen nicht verfolgen.

Letzte Woche widmeten die Zeitungen ihren Hauptaugenmerk auf die Empfehlung der EU-Kommission, der Türkei Visafreiheit zu gewähren. Zunächst muss der Europäische Rat einen Beschluss fassen und anschließend das Europaparlament darüber entscheiden. Zuvor wird die Türkei aufgefordert, die noch nicht umgesetzten 5 Kriterien zu erfüllen. Der EU-Minister der türkischen Regierung sagt, dass die EU-Länder im Falle der Aufhebung des Visumszwangs einen explosionsartiegen Anstieg bei Asylanträgen aus der Türkei befürchten würden. Diese Befürchtungen möchte er mit verbaler Überzeugungsarbeit aus dem Weg räumen. Ich bin gespannt, wie er das schaffen möchte. Denn selbst in einem Bericht der CHP über die Geschehnisse in Cizre wird ausgeführlich geschildert, wie im Zuge der Militäroperationen dort Zivilisten getötet wurden, dass schwerste Menschenrechtsverletzungen die Bevölkerung an den Rand eines emotionalen Bruchs mit dem Staat geführt hätten.

Laut BIA-Medienbeobachtungsbericht von Erol Önderoğlu stehen derzeit in der Türkei 40 Journalisten wegen Verstösse gegen das Terrorismusbekämpfungsgesetz vor Gericht. Das Gesamtstrafmaß summiert sich auf 642 Jahre. In den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden 5 Journalisten freigesprochen und zwei zu insgesamt 2,5 Jahren Haft verurteilt. In 18 Fällen wurde das Verfahren eingestellt, gegen acht wurden neue Ermittlungsverfahren eingeleitet.

In vielen anhängigen Verfahren werden Journalisten mit der Auflage freigelassen, dass sie sich während des laufenden Gerichtsverfahrens in regelmäßigen Abständen bei der Polizei melden müssen. Das ist wohl die Vorstellung des EU-Ministers Bozkir, wie er türkische Asylsuchende von ihrem Vorhaben abhalten möchte. Andererseits muss man auch sagen, dass seine Überzeugungsbemühungen überflüssig wurden, nachdem Erdoğan an die Aufforderung der EU nach Änderung der Antiterrorgesetze eine Absage erteilt und zugerufen hat, sie solle ihren Weg gehen, die Türkei würde ihren eigenen Weg gehen.

Die so genannte “Pelikan-Akte” führte zur Absetzung des Ministerpräsidenten und zum Sturz seiner Regierung. Davutoğlu und seine Unterstützer wu-rden darin des Verrats am Führer bezichtigt. Zu den erhobenen Vorwürfen gehörte auch, dass sie sich über die Entscheidung des Verfassungsgerichts, Can Dündar sei während des Gerichtsverfahrens nicht in U-Haft zu nehmen und freizulassen, gefreut hätten oder dass sie gute Kontakte zu regierungskritischen Medien hätten.

Sehr groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass neue Flüchtlinge an die Tore der EU klopfen werden, die die im Rahmen der “Flüchtlingskrise” und des Deals mit der Türkei vor Menschenrechtsverletzungen  ihre Augen schloss. Die Grenzen der Pressefreiheit in der Türkei werden inzwischen durch Gitter und Kugeln gezogen. Die EU kann sich also auf etwas gefasst machen. Und wir haben noch einen sehr langen Weg, den wir für die Einhaltung der Pressefreiheit gehen müssen.

Ceren SÖZERİ