„Jugendliche melden sich vermehrt zu Wort und artikulieren ihre Interessen und Ansprüche nicht nur untereinander, sondern zunehmend auch gegenüber Politik, Gesellschaft und Arbeitgebern. Dabei blickt die Mehrheit der Jugendlichen eher positiv in die Zukunft. Ihre Zufriedenheit mit der Demokratie nimmt zu. Die EU wird überwiegend positiv wahrgenommen. Jugendliche sind mehrheitlich tolerant und gesellschaftlich liberal. Am meisten Angst macht Jugendlichen die Umweltzerstörung.“ so heißt es in der Pressemitteilung zur Shell Jugendstudie 2019 am 15. Oktober. Aber was können uns Durchschnittswerte in Zeiten größter sozialer Spaltung eigentlich sagen?

Hintergrund der Studie

Seit 1953 beauftragt der Mineralölkonzern Shell Wissenschaftler und Institute mit der Erstellung von Studien, um Sichtweisen, Werte und Erwartungen von Jugendlichen in Deutschland zu dokumentieren. „Die Shell Jugendstudie soll eine Sicht auf die Jugend von heute präsentieren, und zugleich gesellschaftspolitische Denkanstöße geben“, heißt es nach eigener Information.

Die 18. Shell Jugendstudie 2019 trägt den Untertitel »Eine Generation meldet sich zu Wort«. Denn das durchschnittliche politische Interesse von Jugendlichen hat sich zwar der Umfrage nach zu 2015 etwa konstant gehalten (41%). Im längerfristigem Verlauf sei das Interesse jedoch weit höher als 2008 (35%) und 2002 (30%). Und: Die gegenwärtige junge Generation formuliere wieder nachdrücklicher eigene Ansprüche hinsichtlich der Gestaltung der Zukunft unserer Gesellschaft und fordere, dass bereits heute die dafür erforderlichen Weichenstellungen vorgenommen werden. Als zukunftsrelevante Themen haben unter Jugendlichen vor allem Umweltschutz und Klimawandel erheblich an Bedeutung gewonnen. Sie stehen im Mittelpunkt der Forderung nach mehr Mitsprache und der Handlungsaufforderung an Politik und Gesellschaft.

Engagement und Selbstwirksamkeit

Fridays for future stehe sinnbildlich für eine Entwicklung, die in der Studie erfasst wurde – findet Mathias Albert, einer der durchführenden Wissenschaftler der Universität Bielefeld in der Tagesschau- nach der es zwar nicht mehr Jugendliche seien, die sich für Politik interessierten, aber diejenigen, die sich interessierten, die engagierten sich jetzt auch, und sie würden eine gewisse Selbstwirksamkeit fühlen, wenn sie auf die Straße gingen.

Tatsächlich ist die Zufriedenheit in die Demokratie unter den Jugendlichen von 64% (2010) auf 77% (2019) gestiegen, das Misstrauen in Politiker mit 71% dafür allerdings erstaunlich hoch. Und auch „populistischer Kritik am Etablishment“, wie »Die Regierung verschweigt der Bevölkerung die Wahrheit« und »Der Staat kümmert sich mehr um Flüchtlinge als um hilfsbedürftige Deutsche« stimmten immerhin mehr als die Hälfte der Jugendlichen aus der Stichprobe zu.

Bei der Zustimmung der populistischen Statements müsse man genau hinsehen, sagt Mathias Albert und man dürfe die Dinge nicht überbewerten. Sehr oft ginge es schlicht und ergreifend um das Gefühl, nicht gehört und nicht ernst genommen zu werden (ja ok, der Umstand ist in einer Demokratie dann wohl aber nur schwer überzubewerten, sondern sehr ernst). Bei der Fridays for future Bewegung würde man jetzt sehen, dass jetzt auf einmal das Gefühl da sei, gehört zu werden und etwas zu bewirken. „Das erhöht nicht das Vertrauen in politische Parteien“, so Albert, „Ganz im Gegenteil, aber es ist eben eine Erinnerung auch an die politischen Parteien, das noch viel zu tun ist, auch diejenigen Jugendlichen anzusprechen, die sich für einzelne populistische Statements erwärmen können“.

Ja was gibt es denn zu tun? Wahlalter senken? Mehr verbindliche Volksentscheide? Lobbykontrolle? Oder gar „System change, statt climate change“, wie es die Fridays for future u.a. fordern? Vorschläge von Jugendorganisationen und anderen NGOs gibt es zu genüge. Keine steht derzeit allerdings ernsthaft zur Debatte. Können die Jugendlichen also lange warten?

Heißt das jetzt sie raten allen Jugendlichen auf die Straße zu gehen?

Tagesschausprecher Constantin Schreiber wirft seine eigene überzeugende These in den Raum „Also wenn ich das richtig verstehe, sehen sie den Teil der sich Gehör verschafft und auf die Straße geht und den Teil, der sich nicht gehört fühlt. Heißt das jetzt im Umkehrschluss, sie raten allen Jugendlichen auf die Straße zu gehen?“ Alberts Vorschlag, die politischen Parteien müssten mehr mit den Jugendlichen ins Gespräch kommen und ihnen „das GEFÜHL“ geben gehört zu werden, erscheint dagegen zumindest weniger überzeugend.

Zurück zur Studie stellt eine ganz andere Problematik die Studienergebnisse in Frage. Werte, Sichtweisen und Erwartungen werden maßgeblich durch unseren sozialen Hintergrund (sozialer Status, ökonomische Situation, Bildung etc.) geprägt. Wie viel Aussagekraft haben Durchschnittswerte also in Zeiten zunehmender sozialer Ungleichheit und Spaltung? Vor allem, wenn sie gesellschaftspolitischer Denkanstöße dienen sollen?

Politisches Interesse abhängig von sozialem Status

Hinweise darauf lassen sich an ein paar Stellen in der Studie finden. Zum Beispiel zeigt das politische Interesse deutliche Unterschiede in Korrelation mit dem Bildungsabschluss. Studierende bezeichnen sich zu 66 % als politisch interessiert. Sie sind damit die Gruppe mit dem größten politischen Interesse. Jeder zweite Jugendliche (50%), der das Abitur anstrebt oder erreicht hat, bezeichnet sich als politisch interessiert. Bei Jugendlichen mit angestrebtem oder erreichtem Hauptschulabschluss trifft dies hingegen nur auf jeden vierten (25%) zu.

Auch bei den Fragen zur sozialen Gerechtigkeit stellen die Autor*innen einen Bezug zur sozialen Herkunft. Ohne Differenzierung sind die Jugendlichen mehrheitlich 59 % überzeugt, dass es in Deutschland alles in allem gerecht zugeht. Differenziert man die Antworten nach Herkunftsschicht1 zeigt sich: Je niedriger die Herkunftsschicht, umso niedriger ist der Anteil derjenigen, die dieser Aussage zustimmen. So verweist etwa jeder zweite Jugendliche aus der untersten Herkunftsschicht auf fehlende soziale Gerechtigkeit, während aus der obersten Schicht nur noch 25 % diese Einschätzung teilen.

Ganz besonders fragwürdig ist die ideologische Einteilung der befragten Jugendlichen in „Kosmopoliten“ (12%), „Weltoffene“ (27%), „Nicht-eindeutig-Positionierte“(28%) „Populismusgeneigte“ (24%) und „Nationalpopulisten“ (9%). Z.B. werden diejenigen, die sich zwar positiv für die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland aussprechen, jedoch ein gewissen Misstrauen am sogenannten Etablishment äußern als „Nicht-eindeutig-positionierte“ bezeichnet. Der Titel versucht diese Aussagekorrelation also als keine gültige Position darzustellen und impliziert Verwirrtheit bei der Person. Zuhören und Ernst nehmen sieht anders aus.

Die Aussagekraft dieser Eingruppierung wird nicht minder abstrus, als die Autoren sie in Beziehung mit den Aussagen über soziale Gerechtigkeit in Deutschland setzen. Fehlende soziale Gerechtigkeit beklage jeder Zweite aus der Gruppe der Populismus-Geneigten. Bei den Nationalpopulisten seien es sogar drei von vier Jugendlichen, die in Deutschland keine hinreichende Gerechtigkeit gewährleistet sehen. Ja, liebes Wissenschaftsteam, könnte es sein, dass es eben diese Jugendlichen sind, die auch tatsächlich und objektiv die sozial Benachteiligten unter den Jugendlichen sind? Aus vorausgegangener Ausführung wissen wir, dass dem so ist. Ohne diese Verbindung ist die ideelle Einteilung jedoch schwer wertend und ohne handlungsperspektivischem Mehrwert für Politik und Gesellschaft.

1 Die Einteilung in Herkunftsschichten wurde von den Autor*innen vorgenommen und ist nicht einsehbar.