Fünf Jahre und mehr als 400 Verhandlungstage nahm der NSU-Prozess in Anspruch mit einem Ergebnis, das berechtigterweise für Wut und Trauer sorgte.
Heute vor einem Jahr wurde das Urteil verkündet, das im Kern nicht wirklich überraschte. Dennoch hatten die Familien von Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, Ismail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter die Hoffnung, dass der 11. Juli 2018 das Ende ihrer jahrelangen unbeantworteten Fragen bringen würde.
Stattdessen wurden die Mitangeklagten und Mitunterstützer des NSU-Netzwerks, André Eminger, Holger Gerlach und Ralf Wohlleben auf freien Fuß gesetzt, weil sie unmittelbar danach Revision gegen das Urteil einlegten. Ein Umstand, der folgendes Signal insbesondere für die Nazi-Szene vermittelt: Schweigen lohnt sich und wird nicht geahndet.
Es ist auch ein Jahr nach der Urteilsverkündung nach wie vor ungeklärt, wer hinter dem NSU – Netzwerk steckt, welches sich über Jahrzehnte hinweg im Untergrund aufbauen und Mittel besorgen konnte, um Bombenanschläge auszuführen, Banken zu überfallen und gezielt Migranten zu ermorden.
Dass die These des „NSU – Trios“ nicht haltbar ist, zeigen uns die jüngsten Ereignisse, die verdeutlichen, dass dahinter ein größeres Netzwerk stehen muss, welchem nach wie vor nicht nachgegangen wird. Daraus geht hervor, dass der strukturelle Rassismus und die Verstrickung der deutschen Behörden mit rechten Netzwerken noch immer gegenwärtig sind.
Die Anwältin Seda Basay-Yildiz, die im Prozess die Familie Simsek vertrat, erhielt im Sommer 2018 ihren ersten Drohbrief, auf den bis heute drei weitere folgten. Es stellte sich heraus, dass darin Informationen enthalten waren, die lediglich im Melderegister zu finden sind und im 1. Frankfurter Polizeirevier abgerufen wurden.
Die Skrupellosigkeit des rechten Netzwerkes wird auch am 2. Juni, am Tag der Ermordung des CDU – Politikers und Kasseler Stadtdirektor Walter Lübckes deutlich. Der Neonazi Stephan Ernst, der zwischenzeitlich die Tat gestand, allerdings kurze Zeit später revidierte, war bereits im hessischen NSU-Ausschuss als auffälliger und gewaltbereiter Neonazi Thema. Auch bei diesem Mord wird wieder von einem Einzeltäter gesprochen, wie beim „NSU“. Den Verbindungen von Stefan E. zu rechtsextremen Untergrundorganisationen, wie z.B. „Combat18“, die unter anderem auch mit dem „NSU-Trio“ verstrickt waren, wird nicht nachgegangen.
Die Drohbriefe an Seda Basay-Yildiz, der Mord an Walter Lübcke, die Drohbriefe der „Atomwaffendivision Deutschland“ gegen Migranten und viele weiter rassistische Übergriffe zeigen uns ganz deutlich, dass ein Jahr nach dem Prozessende das „Kapitel Rechtsterrorismus“ keines Falls abgeschlossen ist und dass der Widerstand notwendiger denn je ist!
Bis dahin bleibt, sich darüber im Klaren zu sein, dass das Ende des Prozesses niemals das Ende des Kampfes um die lückenlose Aufklärung und schon gar nicht das Ende des Kampfes gegen Rassismus und Rechtsextremismus bedeuten darf.
Für die Hinterbliebenen und vor allem für all jene, die dem rechten Terror zum Opfer fielen, müssen wir eine solidarische Gesellschaft schaffen, welche jeden Tag und überall Schulter an Schulter gegen Rassismus und Rechtsextremismus steht!
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