Die Situation auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland ist ärmlicher denn je. Es mag sein, dass die Zahl der Arbeitslosen „statistisch“ gesunken ist, jedoch muss beachtet werden, unter welchen Bedingungen die Menschen arbeiten. Laut dem statistischen Bundesamt wurden zwischen 1991 und 2010 3,8 Millionen Normalarbeitsverhältnisse abgebaut, zugleich nahmen atypische und prekäre Beschäftigungen um 3,5 Millionen zu. Eine sozialversicherungspflichtige, unbefristete Vollzeitstelle ist für Millionen von Beschäftigten in Deutschland zu einem Traum geworden. Die Realität zeigt Teilzeit, Minijobs, Leiharbeit und das alles in einem Niedriglohnsektor. Knapp acht Millionen Menschen, also jeder vierte deutsche Beschäftigte, ist von dieser Situation betroffen. Doch wie wirkt sich diese Situation auf die Gesundheit der Menschen aus? Nach einer Telefonumfrage, an der 1.200 Bürger ab 18 Jahren teilnahmen, haben Wissenschaftler der Universität Kassel logischerweise festgestellt, dass unsichere Perspektiven zu Existenzängsten der Menschen führen. So gaben 60 % der Befragten an, „ihre finanzielle Situation als ständige Gratwanderung zwischen Meistern und Absturz“ zu empfinden, so der Sozialpsychologe Ernst-Dieter Lantermann auf einer Tagung in Kassel bei der Vorstellung der Ergebnisse. 60 % der Befragten gehen davon aus, dass die soziale Notlage in Deutschland in Zukunft immer häufiger auftreten wird. Eine Bedrohung ihrer Arbeitsplätze und ihrer Gesundheit sahen 40 % der Befragten, die Hälfte von ihnen geht von Einschränkungen im Alter aus. 30 % hatten Angst vor dem Zusammenbruch ihrer sozialen Netze. Die Umfrage wurde im Jahre 2009 durchgeführt und Lantermann vermutet, dass es mit Sicherheit im Jahre 2011 schlimmer geworden ist, obwohl noch nicht alle Ergebnisse ausgewertet wurden.

Für die Forscher sind die Folgen aber klar: Wer mit diesen Ängsten leben muss, hat auch das Gefühl, gesellschaftlich ausgeschlossen zu sein, ist nicht mehr glücklich und zufrieden. Die Menschen vereinsamen und das bürgerschaftliche Engagement nimmt stark ab. „Wer für sich einen Platz im gedachten Ganzen der Gesellschaft sieht, ist eher bereit, für sich zu sorgen, als jemand, der sich verloren und ohne Repräsentanz in einer Bezugsgruppe im gesellschaftlichen Kosmos vorkommt“, erklärt der Makrosoziologe Heinz Bude.

Die Wissenschaftler gehen von externen und internen „Ressourcen“ der Menschen aus, wie z.B. Bildung, Vermögen, Freunde oder Neugier, Selbstvertrauen und Vertrauen in das eigene Umfeld. Je mehr Ressourcen dem Einzelnen zur Verfügung stehen, desto besser können schwierige Situationen überwunden werden. Menschen, die diese Ressourcen nicht besitzen oder im Laufe ihrer schweren Situation verlieren, leiden viel häufiger an psychosomatischen Erkrankungen. „Gleich, wie sonst die Lebensverhältnisse auch sein mögen, ob inkludierend oder eher exkludierend – wer sich gesellschaftlich ausgeschlossen empfindet, der ist in seiner praktischen Lebensführung stärkeren Belastungen ausgesetzt und neigt in stärkerem Maße zur Resignation, mangelnden Selbstsorge und Abwehr von allem Fremden“, so Lantermann.