Am 24. Juni haben in der Türkei vorgezogene Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattgefunden. Entgegen aller Hoffnungen der Opposition konnte sich Recep Tayyip Erdoǧan mit der „Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung“ (Adalet ve Kalkınma Partisi, kurz AKP) deutlich bei den Präsidentschaftswahlen durchsetzen und kann nun das neue Präsidialsystem einläuten.

Zum Hintergrund

Im April 2017 hatte sich die AKP bei dem Referendum um die Änderung der Verfassung bereits durchsetzen können. Diese Änderung, die die Abschaffung des Postens des Ministerpräsidenten und die erhebliche Ausweitung der Befugnisse des Staatspräsidenten vorsah, sollte jedoch nicht sofort, sondern erst mit den nächsten Präsidentenwahlen greifen. Diese sollten ursprünglich im November 2019 stattfinden. Die schwierige Wirtschaftslage, der noch immer andauernde Ausnahmezustand und die damit verbundenen Repressionen gegen Opposition, Presse- und Meinungsfreiheit, sorgten besonders in den vergangenen Monaten für eine Stimmung der Unzufriedenheit innerhalb der Bevölkerung. Um durch diesen Zustand nicht weiter an Zuspruch zu verlieren, schlug der amtierende Staatspräsident Erdoǧan in Zusammenarbeit mit Devlet Bahçeli, von der rechten „Partei der Nationalistischen Bewegung“ (Milliyetçi Hareket Partisi, MHP), die um ihren Einzug ins Parlament fürchtete, eine vorgezogene Wahl vor. Dieser Vorschlag wurde vom Parlament, in dem die AKP die absolute Mehrheit hatte, bestätigt und für den 24. Juni vorgezogene Präsidentschafts- und Parlamentswahlen verkündet. Die MHP trat bei beiden Wahlen nicht alleine an, sondern ging in ein Wahlbündnis mit der AKP, das sie „Volksallianz“ (Cumhur İttifakı) nennen – so sicherte sie sich trotz Stimmenverluste den Einzug ins Parlament.

Wahlkampf im Ausnahmezustand

Von fairen Wahlen kann kaum gesprochen werden. Im Zuge des Ausnahmezustandes befinden sich noch immer tausende Oppositionelle, Journalisten, Politiker, Akademiker usw. in Haft. Auch der Präsidentschaftskandidat der „Demokratischen Partei der Völker“ (Halkların Demokratik Partisi, HDP), Selahattin Demirtaş, sitzt weiterhin im Gefängnis. In die kurdischen Gebiete – ein Dorn im Auge der AKP – wurden teilweise überhaupt keine Wahlurnen gebracht. Die Menschen, die dort abstimmen wollten, haben zum Teil 20 km bis zum nächsten Wahllokal hinter sich bringen müssen. Kein Wunder, dass jetzt bereits von „Wahlbetrug“ die Rede ist. Nichtsdestotrotz konnte Erdoǧan bei den Präsidentenwahlen über 52 % für sich holen, seine wichtigsten Gegner Muharrem İnce von der „Republikanischen Volksparte“ (Cumhuriyet Halk Partisi, CHP) und Selahattin Demirtaş (HDP) kamen auf knapp 30 % bzw. 8 %.
Nicht ganz so deutlich ist das Bild bei den Parlamentswahlen. Zwar konnte die AKP mit 42,5 % wieder eine große Mehrheit einfahren, jedoch nicht die absolute Mehrheit. Daher scheinen weitere Bündnisse mit der nationalistischen MHP wahrscheinlich. Auch die CHP und HDP konnten erneut die 10%-Hürde überwinden. Erstmals auch die IYI Parti, eine Abspaltung aus Lagern der MHP und CHP.

Türkeistämmige in Deutschland werden gespalten

Seit Jahrzenten werden die Türkeistämmigen in Deutschland zu Gunsten der Türkei manipuliert. Die AKP-Regierung hat diese bestehenden Verhältnisse zugespitzt. Die ethnische und religiöse Herkunft wurde Teil der Propagandamaschinerie der AKP.
Denn in Deutschland leben etwa 3 Mio. Türkeistämmige, davon sind über 1,4 Mio. mit türkischer oder doppelter Staatsbürgerschaft. Entgegen der Wahlbeteiligung in der Türkei (ca. 90 %), entschied sich nur knapp die Hälfte der hier lebenden türkischen Staatsbürger, wie auch schon beim Verfassungsreferendum, zur Wahl zu gehen. Von dieser Hälfte entfielen ca. 65 % der Stimmen auf Erdoǧan und die AKP. Ein Umstand, der besorgniserregend ist, aber auch gleichzeitig die Spaltung innerhalb der Gesellschaft weiter befeuert. Denn kaum war die Wahl vorbei, postete Alice Weidel (AfD) auf ihrer Homepage ein Foto, auf dem steht: „Allahu-Akbar-Rufe und Autokorsos in Deutschland: 65 % der Türken in unserem Land wählten Erdogan“. Mal abgesehen davon, dass diese Aussage einfach unwahr ist – nicht 65 % der Türkeistämmigen wählten Erdogan, sondern 65 % der abgegeben Stimmen gingen an ihn – sind die Kommentare unter dem Post an rassistischer Hetze kaum noch zu überbieten. Eine ähnliche Hetze hatte es bereits gegeben, als sich die beiden Nationalspieler Özil und Gündogan mit Erdogan fotografieren ließen. So abscheulich und dumm diese Aktion der beiden Fußballer war, ist Rassismus wohl kaum die richtige Antwort darauf. Da ist es umso schlimmer, dass Vertreter der etablierten Parteien, anstatt die Wogen zu glätten und einer weiteren Spaltung vorzubeugen, diese ebenfalls befeuern. So sagte Cem Özdemir (Bündnis 90 / die Grünen) gegenüber der WELT: „Die feiernden deutsch-türkischen Erdogan-Anhänger jubeln nicht nur ihrem Alleinherrscher zu, sondern drücken damit zugleich ihre Ablehnung unserer liberalen Demokratie aus. Wie die AfD eben“. Auch Özdemir war bereits in der Vergangenheit mit ähnlichen Aussagen aufgefallen.
Dabei gilt es nun nach der Wahl besonders zwei Dinge zu tun. Die fortschrittlich-demokratische Opposition, die sich nach wie vor gegen die AKP stellt, braucht unsere Solidarität. Gleichzeitig gilt es jetzt, diejenigen, die die AKP in Deutschland gewählt haben, nicht zu verteufeln. Die Hälfte der Türkeistämmigen hat sich ausnahmslos für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden. Die Hälfte der anderen Hälfte hat mit der Nichtbeteiligung an der Wahl bereits signalisiert, dass sie die Politik in der Türkei nicht interessiert. Diejenigen, die mit Erdogan sympathisieren, werden sich nicht plötzlich hier zugehörig fühlen, wenn man ihnen weiterhin sagt, wie dumm sie doch seien und dass sie in die Türkei zurückkehren sollen. Nur indem man ihnen die Möglichkeit gibt, hier in dem Land, in dem sie leben, arbeiten, ihre Kinder aufziehen, auch mitzuentscheiden, kann sich etwas verändern. Nur indem die Bundesregierung es nicht bei „Besorgnis“ belässt, sondern auch ihre wirtschaftlichen Verbindungen zur türkischen Regierung, aber auch ihrer Lobbyorganisationen in Deutschland, namentlich DITIB und UETD, kappt, kann ein klares Zeichen gegen das Regime der AKP gesetzt werden.
Lassen wir uns nicht von unseren Kollegen, Mitschülern oder Kommilitonen, die die AKP gewählt haben, spalten. Stehen wir gemeinsam ein für bessere Bedingungen am Arbeitsplatz, in der Schule und an der Uni. Stehen wir gemeinsam ein, gegen die türkischen Wahlurnen in Deutschland. Nur so können wir die bestehende Spaltung überwinden und uns unseren echten Problemen zuwenden.

DIDF-Jugend Bundesvorstand