Eine Studie der Westfälischen Wilhelms Universität Münster mit dem Titel „Integration und Religion aus der Sicht von Türkeistämmigen in Deutschland“ hat die Meinungen und Einstellungen der in Deutschland lebenden türkeistämmigen Migranten zu diversen Themen untersucht. Ergebnis: Das Bild ist nicht so negativ, wie es oft gezeichnet wird.

Das Verhältnis der Türkeistämmigen in Deutschland zu dem Land, in dem sie leben und zu dem Land, von welchem sie abstammen, sorgt seit jeher bei verschiedensten Anlässen immer wieder für Diskussionsstoff. Dabei fußen viele dieser Diskussionen nicht auf konkreten Tatsachen und gehen oftmals von reinen Mutmaßungen aus. Verschiedenste Interessengruppen formulieren solche Vermutungen gemäß der eigenen politischen Ausrichtung, ohne sich dabei auf Tatsachen zu berufen. Die Studie „Integration und Religion aus der Sicht von Türkeistämmigen in Deutschland“ der Wilhelms Universität Münster präsentiert uns nun ganz konkrete Daten.

Für diese Studie befragte eine der bedeutendsten Institutionen in Deutschland, das Emnid Meinungsforschungsinstitut, telefonisch zwischen November 2015 und Februar 2016 über 1200 türkeistämmige Personen ab 16 Jahren zu den Schwerpunktthemen Integration, Religiosität und Akzeptanz durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Zuerst ist zu erwähnen, dass sich 90% der Türkeistämmigen in Deutschland wohlfühlen bzw. sehr wohlfühlen. Dennoch fühlt sich die Hälfte der Türkeistämmigen mangels Anerkennung als „Bürger 2. Klasse“. Im Osten Deutschlands liegt dieser Wert sogar bei über 60%. Auffällig hierbei ist ebenfalls, dass 54% der Befragten der Aussage zustimmen: „Egal wie sehr ich mich anstrenge, ich werde nicht als Teil der deutschen Gesellschaft anerkannt“. Dies bedeutet natürlich wiederum, dass solch eine Einstellung den Willen und die Bemühung mindert, ein Teil der deutschen Gesellschaft sein zu wollen.

Verbundenheit mit Deutschland und der Türkei

Bei der Frage zur Verbundenheit mit Deutschland bzw. mit der Türkei antworteten 87% der Befragten, dass sie sich mit Deutschland verbunden fühlen – etwa genauso viel, wie sich mit der Türkei verbunden fühlen (85%). Dies zeigt, dass die Türkeistämmigen starke Bindungen zu beiden Ländern haben, wobei die fast identischen Prozentzahlen erwähnenswert sind. Es wird allerdings vermutet, dass sich diese Prozentzahl allmählich zugunsten Deutschlands verschieben wird. Eine ähnlich hohe Zahl der Befragten gibt an, sich integrieren zu wollen (70%). Dies zeigt, dass die Behauptung so mancher Politiker, die Türkeistämmigen seien nicht integrationswillig, einem reinen Klischeedenken entspringen.

Ein weiterer Schwerpunkt der Studie beschäftigt sich mit der Akzeptanz durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft. 86% der Befragten bezeichnen ihre Haltung zu „Menschen deutscher Herkunft“ als positiv, nur 4% bekunden eine negative Haltung. 80% haben eine positive Haltung zu Christen, 49% zu Atheisten und wiederum 49% zu Juden.

Was ist Integration?

Interessant sind auch die Ergebnisse zu der Frage, was die Türkeistämmigen unter Integration verstehen. 91% der Befragten sehen darin, dass man die deutsche Sprache lernt und die Gesetze in Deutschland beachtet (84%). Dass das Beachten von Gesetzen als Indiz für eine gelungene Integration betrachtet wird, muss besonders betont werden, weil Rechtspopulisten dieses Argument immer wieder als Hauptargument anführen und eine Unvereinbarkeit zwischen religiösem und juristischem Empfinden anführen. 76% betrachten es als wichtig, gute Kontakte zu Deutschen zu haben. Weniger bedeutend scheint zu sein, mehr von der deutschen Kultur zu übernehmen (39%) oder sich bei der Kleidung anzupassen (33%). Ein ganz bedeutendes Symbol für Integration wird von den wenigsten der Befragten (32%) als gewichtig betrachtet: dass man sich um die deutsche Staatsbürgerschaft bemüht. Dabei ist offiziellen Zahlen zufolge jeder zweite Türkeistämmige ein deutscher Staatsbürger.

Unterschiede zwischen den Generationen

In Bezug auf Integration gibt es deutliche Unterschiede zwischen den in der Türkei Geborenen und nach Deutschland Zugewanderten (erste Generation) und denjenigen, die entweder in Deutschland geboren wurden oder aber im Vorschulalter (< 8 Jahre) nach Deutschland gekommen sind (zweite und dritte Generation). So besitzen 94% der zweiten/dritten Generation sehr gute bis gute Deutschkenntnisse, dies ist jedoch nur bei 47% der ersten Generation der Fall. 74% Prozent der zweiten/dritten Generation haben sehr viel Kontakt zu Menschen deutscher Herkunft, während dies wiederum nur für 47% der ersten Generation gilt.

Das Bild ist nicht so negativ, wie es gezeichnet wird

Prof. Dr. Detlef Pollack, Religionssoziologe an der Westfälischen Wilhems Universität, gab die Ergebnisse der Studie auf einer Pressekonferenz in Berlin bekannt. Hierzu sagte er: “Das Bild von der persönlichen Lebenssituation der in Deutschland lebenden Türkeistämmigen ist positiver, als man es angesichts der vorherrschenden Diskussionslage zur Integration erwarten würde. Woran es aber unter den in Deutschland lebenden Türkeistämmigen mangelt, ist das Gefühl, willkommen geheißen und anerkannt zu sein. Gut die Hälfte dieser Menschen fühlt sich als Bürger 2. Klasse, egal wie sehr sie sich anstrengen, dazuzugehören“.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass der überwiegende Teil der Türkeistämmigen sich nunmehr als deutsch wahrnimmt und eine positive Haltung gegenüber der deutschen Bevölkerung einnimmt. Allerdings versuchen politische Strömungen sowohl in Deutschland wie auch in der Türkei dieses positive Bild zu verzerren. Die Studie zeigt deutlich, dass Deutschland den Türkeistämmigen jahrelang gewisse Rechte verwehrt und somit verhindert hat, dass diese sich selbst als einen Teil der Gesellschaft wahrnehmen. Deshalb wird das Gewähren von gleichen Rechten einen positiven Einfluss auf den Integrationsprozess haben. Auch wird es das vorbehaltlose Zusammenleben der Arbeiterklasse erleichtern, welche sich aus verschiedenen Glaubensrichtungen und Nationalitäten zusammensetzt.

Religion als Identitätsmarker

Die Studie der Westfälischen Wilhelms Universität hat weiterhin gezeigt, dass die Türkeistämmigen der zweiten/dritten Generation sich selbst religiöser einschätzen, als dies die erste Generation macht. Das Gefühl, in Deutschland als Bürger 2. Klasse zu gelten, führt dazu, sich einer nationalistischen oder religiösen Identität hinzuwenden.

28% der Türkeistämmigen geben an, regelmäßig eine Moschee zu besuchen (32% bei der ersten Generation und 23% bei der zweiten/dritten Generation). Das Gebet privat bzw. persönlich zu Hause vollführen 45% der Befragten (55% der ersten und 35% der zweiten/dritten Generation). Diese Zahlen zeigen, dass ein Großteil der zweiten/dritten Generation weder eine Moschee besucht, noch persönlich betet. Dennoch ist die Zahl derjenigen der zweiten/dritten Generation, die sich selbst als religiös einschätzt (72%) höher als die der ersten Generation (62%). Dadurch wird deutlich, dass die jüngeren Generationen der Türkeistämmigen Religion als identitätsstiftend ansehen. Und der Islam ist hierbei die hervortretende Religion. 83% der Befragten stimmen der Aussage zu, es mache sie wütend, wenn nach einem Terroranschlag als erstes die Muslime verdächtigt werden.

Einen negativen Trend zeigt die Studie jedoch auch: 47% sind der Ansicht, „dass die Befolgung der Gebote meiner Religion für mich wichtiger ist, als die Gesetze des Staates, in dem ich lebe“. Dass 13% der Türkeistämmigen den religiösen Fundamentalisten zustimmen liegt laut Prof. Dr. Pollack insbesondere bei der zweiten und dritten Generation daran, dass man seine eigenen Wurzeln zur Schau stellen wolle.