Kultur stellt einen wichtigen Grundpfeiler der Gesellschaft dar. Doch wie war das nochmal mit dem Zugang zu kulturellen Angeboten für alle Menschen? Vor wenigen Monaten erst hat sich in Frankfurt das „Kollektiv ohne Namen“ (KON) gegründet. Bestehend aus Kunstschaffenden und Aktivisten sind sie vor allem mit einem überlebensgroßen Portrait der Opfer von Hanau unter der Friedensbrücke in Frankfurt und vielen ähnlichen Aktionen bekannt geworden. Im Interview mit dem Künstlerkollektiv beantworten uns Manolo Angelo und Pico Fragen zu diesem Thema.
Das Künstlerkollektiv hat sich erst vor kurzem gegründet. Was war euer Beweggrund ein solches Kollektiv zu initiieren?
Manolo: Als Kollektiv ohne Namen haben wir uns tatsächlich erst vor sechs Wochen gegründet, dennoch arbeiten wir als Einzelpersonen schon seit den 90ern zusammen. Nach unserer großen Aktion zu Hanau, in der wir an der Friedensbrücke in Frankfurt ein Erinnerungsgemälde für die Opfer angefertigt haben, haben wir gemerkt, dass vieles untergeht, wenn man nicht als Gruppe auftritt. Das heißt viele unserer Aktionen kennen die Menschen gar nicht, weil wir damit nicht hausieren gehen, sondern es einfach im öffentlichen Raum stehen lassen und das bedeutet automatisch, dass die Menschen sich selbst damit konfrontieren müssen. Im Endeffekt war der entscheidende Grund aber, dass wir gesagt haben: Jetzt sind die Kapazitäten da ist und es gibt momentan auch immer wieder Leute, die bei unseren Aktionen mitmachen möchten. Wir haben gedacht, wir nennen uns Kollektiv ohne Namen, weil es hier nicht um Personen geht und diese Bilder werden in der Regel auch nicht von 1-2 Personen gemacht, da jeder mitmachen kann. Mit dem Kollektiv wollen wir den Menschen eine Plattform geben, damit sie sich uns anschließen können und das Ganze nicht als autonome Idee untergeht.
Sind für die nahe Zukunft Veranstaltungen oder Aktionen geplant, von denen ihr berichten würdet?
Manolo: Da wir zum Glück gut vernetzt sind, können wir Menschen dazu bewegen mit uns Aktionen zu planen. Wir haben ganz viele neue Sachen geplant, die man hier aber nicht so ausführlich erwähnen kann. Man kann aber durchaus sagen, dass es schlussendlich immer einen gesellschaftskritischen Aspekt hat und da unsere Haltung antifaschistisch und antirassistisch ist, wird es definitiv auch bei dem Thema Rassismus bleiben.
Und was sind die Bereiche innerhalb der Gesellschaft, in denen ihr aktiv seid?
Manolo: Jugendarbeit und Migration sind auf jeden Fall Kernbereiche unserer Arbeit. Wir wollen viele Workshops anbieten, weil es beispielsweise viele Gruppen gibt, die gerne selbst Banner gestalten würden, aber gar nicht wissen, wie sie sowas angehen sollen. Protestästhetik zu gestalten ist eine weitere Sache, die wir im Bereich der Jugendarbeit angehen wollen. Wir wollen also diese Öffentlichkeitsarbeit in Verbindung zu Kunst bringen, indem wir unser Handwerk der breiten Masse zur Verfügung stellen und dadurch eine neue Form des Protestes entwickeln.
Was ist denn genau eure Zielgruppe, die ihr mit den Aktionen ansprechen wollt?
Pico: Im Grunde die gesamte Gesellschaft. Alle Leute, die an den Werken, die wir gestalten, vorbeilaufen. Sodass die Leute in ihrem Alltag mit den gesellschaftlichen Problemen konfrontiert werden und somit auch irgendwie darüber nachdenken müssen und diesen nicht ausweichen können.
Manolo: Natürlich wollen wir aber vor allem auch Menschen erreichen, die von Rassismus oder Sexismus betroffen sind, weil Migration in diesem Land auch offen als Problem thematisiert wird. Und genau das in die Öffentlichkeit zu tragen ist für uns eine Pflicht und Teil unserer Haltung.
Die Politik gibt uns immer wieder zu verstehen, dass kein Platz für Jugendliche mit einem Migrationshintergrund oder Jugendliche aus Arbeiterfamilien in der Gesellschaft geschaffen werden möchte. Auch kulturelle Angebote sind nicht für alle Menschen zugänglich, immer mehr Jugendhäuser werden geschlossen und es findet eine Verdrängung der Menschen aus den städtischen Zonen statt. Was denkt ihr wie man diesen Problemen entgegenwirken kann?
Manolo: Der Versuch migrantische Jugendliche aus dem Stadtbild zu verdrängen ist nichts neues und vor allem in der Kunst und Kultur muss man sich vergewissern, für wen diese überhaupt gedacht ist. Denn es hat immer etwas mit der Herkunft zu tun, vor allem aus welcher Klasse man kommt. Da geht es nicht spezifisch um migrantisch oder deutsch, sondern darum, dass die Kultur gar nicht danach ausgerichtet ist, Arbeiterkinder in Museen oder im Theater antreffen zu wollen. Und das was wir anbieten wollen ist eine Art des Protests, nämlich zu sagen wir bieten unser Können an und wollen genau mit den Jugendlichen, die von dieser Problematik bettoffen sind Projekte machen. Natürlich geben wir immer ein Projekt vor, d.h. wir haben uns Gedanken gemacht, wo gerade der Schuh drückt und was wir als notwendig empfinden und wollen dazu etwas organisieren. Wir wollen vor allem mit Jugendlichen und Kindern aus Arbeiterfamilien oder mit einem Migrationshintergrund zusammenarbeiten, weil wir erstens auf diese Art für sie einen Raum schaffen, der als Zugang zu einer neuen Protestform dienen kann, und zweitens ist der Prozess eine Art des Schaffens und so schaffen sie ihre eigene Kultur. Ich meine jedes Werk von uns resultiert aus dem Aufeinandertreffen von Menschen, die aus der Kultur kommen und schon immer unbewusst ihre eigene Kultur gemacht haben.
Pico: Zu den öffentlichen Räumen kann man nur sagen, dass sie der Kommerzialisierung unterliegen und öffentliche Räume haben immer etwas mit Ein- und Ausschlüssen zu tun. Man sieht, dass Jugendliche aus finanziell schwächeren Verhältnissen aus der Kultur ausgeschlossen werden. Für diese Jugendlichen wird der Zugang zu öffentlichen Räumen auf diese Art erschwert und deshalb müssen sie auf alternative Formen der Kultur zurückgreifen. Das alles hat etwas damit zu tun, wie einkommensstark du letztendlich bist und ich glaube, um ehrlich zu sein nicht, dass die Politik ein Interesse daran hat, dass die Gesellschaft sich die öffentlichen Räume zurückerobert, sondern sie will dann lieber noch ein weiteres Bürogebäude bauen lassen. Ich bin immer dafür, dass man die öffentliche Räume so wie sie gerade bestehen in Frage stellt und sich diese zurückerobert, weil sie der ganzen Gesellschaft gehören und nicht irgendwelchen Großkonzernen.
Ihr schafft alternative kulturelle Angebote für Jugendliche und Kinder, die den Zugang zur herkömmlichen bürgerlichen Kultur nicht haben. Schafft ihr mit eurer Arbeit eine Art der Gegenreaktion oder Gegenkultur zur herkömmlichen Kultur?
Pico: Ich finde, dass man damit eher Menschen eine Stimme verleiht, die sonst nicht gehört werden und, dass den Menschen das Gefühl gegeben wird, dass ihre Meinung Gewicht hat. Unser Ziel ist es, dass diese Stimme auf verschiedene künstlerische Arten ausgedrückt werden, indem wir ihnen den Raum bieten und diese nach außen tragen.
Manolo: Es geht vor allem darum, dass man sich Räume schaffen muss, wo außerhalb des normalen Umgangs mit der Kultur, alternative Angebote vorbereitet werden. Die Kunst, die beispielsweise in Museen hängt, hat wenig mit der Lebensrealität von migrantischen oder Arbeiterkindern zu tun, aber die Kunst als Möglichkeit zu sehen und als etwas Schaffendes zu nutzen ist etwas Wichtiges. Und gleichzeitig auch ein Teil des künstlerischen Protestes sein zu können, ist eines unserer Anliegen. Kunst hat die Macht darüber Menschen auf eine andere Art zu berühren und zu erreichen, deshalb ist es unser Anliegen mit Menschen aus Arbeiterverhältnissen zu arbeiten.
Das Interview führte Sinem Yeşil
Dieser Artikel ist erschienen in JungeStimme Ausgabe 88
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