Diese Frage hat Sinan Özbolat dem Hamburger Abgeordneten Deniz Celik gestellt.

Es fanden viele Volksentscheide in Hamburg statt, jedoch versucht die Landesregierung immer wieder, die eigenen Ziele umzusetzen. Also warum dann überhaupt Abstimmungen?

Kurz bevor die Hamburger Krankenhäuser privatisiert wurden, hat eine überwältigende Mehrheit der Hamburger mit 76,8 % in einem Volksentscheid gegen die Privatisierung gestimmt. Der damalige Senat hat sich darüber hinweggesetzt und verkaufte die Mehrheitsanteile 2005 an Asklepios. Das war eine grobe Missachtung des demokratischen Willens der Hamburger Bevölkerung und erschütterte das Vertrauen in die Demokratie. Zwar sind Volksentscheide inzwischen auch auf Grund des politischen Drucks von Bürgerinitiativen rechtsverbindlich, jedoch ist die direkte Demokratie für die meisten Parteien ein Dorn im Auge. Nach jedem verlorenen Volksentscheid – zuletzt nach dem verlorenen Olympia-Referendum – kommen immer neue Vorschläge für zusätzliche Hürden. Mal wird vorgeschlagen die Quoren zu erhöhen oder es wird mit dem Hinweis auf die Kosten und die Schuldenbremse von den Initiativen verlangt Gegenfinanzierungsvorschläge zu machen. Das würde am Ende auf Demokratie nach Kassenlage hinauslaufen. Die Regierenden wollen letztendlich durchregieren und sie sehen es nicht gerne, wenn durch die direkte Demokratie ihr Handlungsspielraum einschränkt wird. Demokratie reduzieren sie -zugespitzt formuliert- auf alle fünf Jahre stattfindende Wahlen. Da stören Volksentscheide. Das sehen wir auch in der aktuellen Auseinandersetzung mit dem Bündnis für mehr Pflegepersonal. Trotz des Pflegenotstandes und der gefährdeten Patientensicherheit in den Hamburger Krankenhäusern klagt der Senat gegen die Volksinitiative wegen vermeintlicher Verfassungswidrigkeit. Statt die politische Auseinandersetzung zu suchen und die Hamburger Bevölkerung abstimmen zu lassen, klagt der Senat, um vom Verfassungsgericht gesagt zu bekommen, dass er aufgrund der Zuständigkeit des Bundes keine Regelungskompetenz besitzt und Vorkehrungen für mehr Pflegepersonal nicht vornehmen darf. Das ist für mich eine politische Bankrotterklärung!


Sie sind seit Jahren Abgeordneter der Hamburger Bürgschaft. Werden dort überhaupt Wünsche und Interessen der arbeitenden Bevölkerung berücksichtigt?

Natürlich bringen wir als Abgeordnete der LINKEN im Unterschied zu den anderen Parteien die Interessen der arbeitenden Bevölkerung ins Parlament. Wenn wir das nicht täten, hätten wir auch keine Existenzberechtigung mehr. Aber von allen anderen Parteien, die auch die Regierung stellen, werden die Interessen der großen Mehrheit, der arbeitenden Bevölkerung viel zu selten thematisiert und berücksichtigt. Maßgeblichen Einfluss auf politische Entscheidungen haben finanzstarke Konzerne bzw. Unternehmen. Die Privatisierung der Renten, der Gesundheitsversorgung oder der Verkehrsinfrastruktur bedient partikulare Interessen von Investoren auf Kosten der Allgemeinheit. Die Privatisierung der Renten war eine neue Einnahmequelle für Versicherungen und Finanzdienstleister, gleichzeitig sind viel mehr Menschen vor Altersarmut betroffen, weil das gesetzliche Rentenniveau herabgesenkt wurde und gleichzeitig Menschen mit geringen Einkommen eine private Vorsorge nicht leisten können. In Hamburg hat die Zahl der Grundsicherungsempfänger in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt.

In Hamburg wurden auch fast alle Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen privatisiert. Wenn Asklepios am Personal spart und 80 Millionen Euro Rendite im Jahr macht, dann ist das nur möglich, weil ein Teil unserer Krankenkassenbeiträge in privaten Taschen landet und eben nicht für eine gute Versorgung verwendet wird.


Kann man von Demokratie reden, wenn man nur alle Paar Jahre wählt und sonst keine Mitbestimmungsmöglichkeiten hat?

Nein, Demokratie darf nicht auf alle 4 oder alle 5 Jahre stattfindende Wahlen reduziert werden. Zum einen beobachten wir aufgrund der immer weiter sinkenden Wahlbeteiligung eine Legitimitätskrise in der repräsentativen Demokratie. Immer mehr Menschen beteiligen sich nicht an Wahlen, weil sie das Gefühl haben, dass ihre Interessen nicht vertreten werden. Entsprechend unterrepräsentiert sind Menschen mit geringen Einkommen. Diese Spaltung ist eine große Gefahr für die Demokratie. Zum anderen möchten Menschen viel stärker an politischen Entscheidungen beteiligt werden. Seit Jahren lehnt eine große Mehrheit der Bevölkerung Auslandseinsätze oder die Privatisierung der Gesundheit ab. Trotzdem machen die Regierenden Politik gegen diese politischen Mehrheiten. Wenn wir Volksentscheide auf Bundesebene hätten, könnten diese politischen Mehrheiten auch für das Regierungshandeln verbindlich werden. In Hamburg haben wir gute Erfahrung gemacht: es waren die außerparlamentarischen Bewegungen und Volksinitiativen, die die Bewerbung von Hamburg für die olympischen Spiele verhindert oder die Rekommunalisierung der Energienetze durchgesetzt haben.

Außerdem darf die Demokratie nicht vor dem Werkstor enden. Es ist immer noch so, dass wir weit von einer Wirtschaftsdemokratie entfernt sind. Die Arbeiter müssen das Recht erhalten über wesentliche Fragen in ihrem Betrieb mitentscheiden zu dürfen. Insbesondere in Betrieben ohne Tarifbindung und Betriebsräten handeln Arbeitgeber häufig noch wie in vordemokratischen Zeiten. Es müssen auch gesellschaftliche Debatten darüber geben, was die gesellschaftlichen Bedarfe sind und welche Güter zu welchen Bedingungen produziert werden. Rüstungsgüter werfen nach marktwirtschaftlicher Logik Profite ab, aber sie töten Menschen, schaffen Fluchtursachen und bedrohen im äußersten Fall die ganze Menschheit.

Was kann das Volk machen, um seiner Stimme Gehör zu verschaffen?

Meine KollegInnen und ich nutzen das Parlament als Bühne, um auch die Interessen der arbeitenden Bevölkerung sowie Erwerbslosen zu artikulieren. Und linke Opposition wirkt auch in den Parlamenten. Wenn es z.B. in Hamburg einen städtischen Mindestlohn von 12 Euro gibt, ist das vor allem unser Verdienst. Jedoch haben Unternehmen und ihre Lobbyverbände viel zu viel Einfluss auf das Regierungshandeln. In Hamburg werden zum Beispiel jährlich 10.000 Wohnungen gebaut, aber nur ein Drittel sind Sozialwohnungen. Der Rest sind teure Miet- und Eigentumswohnungen. Das verdeutlicht doch, wessen Interessen in erster Linie ausschlaggebend sind: Die Interessen der Wohnungswirtschaft und nicht der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum. Die Geschichte zeigt, dass gesellschaftliche Fortschritte häufig das Ergebnis von gesellschaftlichen Kämpfen sind. Das allgemeine Wahlrecht oder die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall waren keine Gnadenakte der Herrschenden – sie wurden erkämpft. Ich kann nur den Rat geben sich nicht drauf zu verlassen, dass die gewählten Politiker all ihre Probleme lösen, sondern sich mit Gleichgesinnten zu organisieren und für die gemeinsamen Interessen zu kämpfen. Es gibt Mut machende Beispiele, wie zum Beispiel die Streikbewegung der Pflegekräfte. Wenn z.B. der Pflegenotstand die gesamte Politik beschäftigt und die Kritik an der Profitlogik im Gesundheitswesen immer lauter wird, dann ist es der Verdienst der Pflegekräfte, die sich organisieren und sich für menschenwürdige Arbeitsbedingungen und Pflege einsetzen.